Gudrun Harrer

Beinahe nichts wissen wir über Amina Lawal Kurami, bis zu dem Zeitpunkt, als sie, ihr achtmonatiges Baby an sich gedrückt, zu weinen beginnt, als der Richter das Urteil bestätigt: Tod durch Steinigung. Die Zuhörer - fast lauter Männer - in einem Gerichtshof in Nordnigeria rufen: Allahu akbar, Gott ist groß.

Amina, eine aus einem kleinen Dorf in der Provinz Katsina stammende geschiedene 30-Jährige, die ihr drittes Kind unehelich zur Welt brachte: für die Männer im Gerichtssaal, deren Ehre zwischen den Beinen ihrer Frauen ruht, ein moralisches Ärgernis; für uns hingegen eine Märtyrerin der Menschenrechte, Opfer einer rückständigen Religionsauffassung und barbarischen Rechtsprechung. Aber zu jenen, die vor Wut schreien möchten, gehören nicht etwa nur Nichtmuslime, sondern auch Muslime: die aufgeklärten sowieso - aber auch von den konservativen könnten einige sogar mit der Scharia (dem islamischen Recht) die Irrsinnigkeit dieses Urteils argumentieren.

Die nigerianischen Macho-Richter, die ein schon vorhandenes Urteil bestätigten, haben wirklich ins Volle gegriffen: Den mutmaßlichen Vater des Kindes, der den sexuellen Kontakt zur Frau - der er laut einigen Berichten die Heirat versprochen hatte - abstritt, ließen sie laufen, obwohl, wenn schon, für ihn das gleiche Gesetz gelten würde. Ein Gesetz, das übrigens nach der Rechtstheorie Ehebrecher strenger bestraft als nicht verheiratete "Täter" und "Täterinnen", denen es ihre sexuellen Bedürfnisse zugute hält (aber eben in der Rechtspraxis doch nur Männern, außerdem kann ja der Mann im nigerianischen Fall durchaus verheiratet gewesen sein, wir wissen es nicht, es ist ja auch egal).

Dass jedoch sogar die selbst- gefälligsten aller Richter eine Spur ungutes Gefühl haben dürften, zeigt die Begründung ihres so genannten Rechtsspruchs: Da nach dem ursprünglichen Sinn des Gesetzes eine Tat, für die so ein schweres Urteil vorgesehen ist, von vier (!) Zeugen bezeugt werden sollte - also genau genommen das Indiz für den Geschlechtsverkehr, das Kind, nicht ausreicht -, stützten sich die weisen Herren ausdrücklich darauf, dass Amina das Verhältnis gestanden hatte.

Man traut sich aber darauf zu wetten, dass sie auch sonst Mittel und Wege gefunden hätten, ihr Todesurteil - gegen das noch zweimal berufen werden kann - abzulaichen. Vollstreckt soll es werden, wenn Amina ihre Tochter Wasila abgestillt hat - sie wird, wenn nötig, zu dem am längsten gestillten Kind Nigerias werden. Die gewonnene Zeit werden die den Islamisten entgegengesetzten Kräfte nützen, den Fall umzudrehen, wie es bei der gleich lautenden Verurteilung einer vergewaltigten (!) Nigerianerin schon einmal geglückt ist. Aber die Islam-Machos werden nicht so schnell aufgeben.

(DER STANDARD, Printausgabe, 22. 8. 2002)