Finanzminister Karl-Heinz Grasser meint jetzt, es wäre "absolutes Harakiri", eine Steuerreform im nächsten Jahr durchzuführen. Doch der rituelle Selbstmord des japanischen Kriegers erfolgt ja gerade aus der Schande über ein Versagen und/oder als ehrenvoller Ausweg aus einer unlösbaren Situation. Um der Tradition gerecht zu werden, müsste also Grasser Harakiri begehen, gerade weil er das Versprechen einer Steuerentlastung nicht einhalten kann. Das wird niemand von ihm verlangen. Harakiri bedeutet "Bauch aufschneiden". Es wird mit einem Dolch oder einem Kurzschwert durchgeführt, wobei im Idealfall ein Freund mit dem Langschwert ( Katana ) zwecks Abkürzung der Agonie den Kopf abschlägt. Der richtige Begriff, der auch die spirituelle Seite trifft, lautet allerdings Seppuku . Der letzte spektakuläre Fall in Japan war 1970 der des Schriftstellers Yukio Mishima. Seppuku begeht man aus verschiedenen Gründen: oibara wäre "jemanden in den Tod folgen"; sokutsushi , weil man die Etikette gebrochen hat oder wegen einer Straftat; kanshi : Selbstmord begehen, um die Entscheidung eines anderen zu ändern. Und, vielleicht passend zur heimischen Wirtschaftspolitik: funshi ("weil man Mist gebaut hat"). (DER STANDARD, Printausgabe, 22.8.2002)