Eine 30-jährige Frau soll im Namen Gottes bis zu den Hüften eingegraben und gesteinigt werden, weil sie ein uneheliches sexuelles Verhältnis gehabt hat. Die Nachricht ist so grausam, die Wut darüber so groß, dass es beinahe unmöglich ist, die Gedanken in vernünftige Bahnen zu lenken. Wollen wir das, soll für eine Religion, die zu so etwas führen kann, hierzulande Platz sein? Nein, natürlich nicht. Hat dann Bischof Krenn mit seiner "Türkenbelagerung", die es christlich abzuwehren gilt, doch recht? Natürlich auch nicht. Und beides muss zusammengehen.Der Islam gibt uns zurzeit einiges auf. Dieser Satz wird von Muslimen und Musliminnen wieder einmal sehr verübelt werden, sie bestehen darauf, dass der 11. September, aber auch religiös begründete Unmenschlichkeiten wie jetzt in Nigeria nichts mit dem Islam zu tun haben. Von ihrer Warte, gemessen an ihrem gelebten Islam, stimmt das - dann stimmt es aber auch, dass Inquisition, Kreuzzüge, Hexenverbrennungen nichts mit dem Christentum zu tun hatten. Also stimmt beides nicht. Beide Religionen, alle Religionen, tragen ihre eigenen Verirrungen in sich; neben dem Guten steht das Böse, das dann von den Menschen getan wird, die unter sehr unterschiedlichen Umständen leben, aber nirgends auf der Welt besser oder schlechter sind. Und wer diesem letzten Satz nicht zustimmen kann, sollte vielleicht überprüfen, ob die hoch gelobte westliche Aufklärung bei ihm wirklich schon gegriffen hat. Wahrgenommen wird bei einer Religion im Allgemeinen nur - und das ist allzu menschlich -, wie sie sich in einem gewissen Geschichtsabschnitt - also jetzt - präsentiert. Deshalb ist das Christentum gütig und der Islam grausam, das Christentum modern - na ja, wenigstens ein bisschen - und der Islam rückständig. Die eigene rückständige Geschichte, die gar nicht so lang zurückliegt: begraben und vergessen. "Mit Feuer und Schwert" heißen heute nur noch Bücher über den Islam, und der Unterschied zwischen dem streitbaren Muhammad und dem sanftmütigen (oder von der Theologie sanftmütig gemachten) Jesus Christus liegt ja auf der Hand (dass das, mit Verlaub, ein Vergleich von Äpfeln und Birnen ist, was tut es?). Alles Gute, was wir heute in unserem Teil der Welt haben, Demokratie und Menschenrechte und Wohlstand, hat irgendwie doch mit unseren christlichen Wurzeln zu tun, alles Schlechte, was andere haben, keine Demokratie, Diktatoren, Armut, auf alle Fälle mit dem Islam. Während das Christentum leichten Herzens entlastet wird - aber nein, natürlich hat es nichts mit dem Streit zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland zu tun! -, sieht man bei Ereignissen in der islamischen Welt den Islam als einzigen Verursacher (natürlich nur bei negativen Ereignissen, alles Gute findet trotzdem statt). Dabei geht es gerade in dem nigerianischen Fall auch um anderes: Erstens natürlich um die ewige Frage der Kontrolle der Sexualität der Frau, die, woanders als in der Ehe ausgelebt, eine gefährliche Bedrohung für die Gesellschaft ist. Das hat nicht der Islam erfunden, da holt sich jede Macho-Gesellschaft, wenn man sie lässt, die Religion zu Hilfe. Im Fall Nigerias kommt noch ein innenpolitischer Konflikt dazu, das Aufbegehren des islamischen Nordens, der seit dem Amtsantritt des christlichen Präsidenten Olusegun Obasanjo an Bedeutung verloren hat und diesen über die - verfassungswidrige - Einführung der Scharia-Gerichte herausfordern will. Aber das ist nicht das Thema, auch nicht, dass in den USA, wo das Gute wohnt, Behinderte und Menschen, die ihre Straftat als Minderjährige begangen haben, exekutiert werden. Frauen, die "Unzucht" betrieben haben, werden hier und dort nicht - nicht mehr - hingerichtet. Hoffentlich kommt diese Zeit auch bald für die islamische Welt, Muslime und Musliminnen sollten sich abseits aller islamischen Apologetik dafür einsetzen. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, Print-Ausgabe vom22.8.2002)