Dass David Gedge ein Guter ist, war bereits angesichts seines Debüts mit The Wedding Present klar: Wer den britischen Fußball-und Koteletten-Gott George Best auf das Cover nahm, konnte kein schlechter Mensch sein. Die sympathisch besessene Musik - schrammelnde Gitarren und Seufzermelodien - stiftete Vertrauen und stellte damals, 1987, eine Freundschaft in Aussicht, die der Mann seit über 15 Jahren immer wieder bestätigt. The Wedding Present waren damals drauf und dran, das Erbe der damaligen Brit-Pop-Regenten The Smiths anzutreten, die sich zu dieser Zeit bereits in Auflösung befanden. Doch aus dem Erbteil wurde nichts. Zwar waren The Wedding Present die Lieblinge der britischen Musiknation, doch mit dem Auftauchen der Club- und DJ-Kultur war ein Sexyness-Faktor, wie ihn The Smiths noch verbuchen konnten, einfach nicht mehr drinnen. Gedge schien das sowieso egal zu sein und er veröffentlichte eine große Platte nach der anderen: Bizarro (1989) und Seamonster (1991) ließ er von Steve Albini produzieren und mit der Singles-Reihe Hitparade glitt er 1992 in Kritikerherzen wie das warme Messer in die Butter. Bestand diese Serie doch aus Coverversionen von Sympathieträgern wie den Go-Betweens, Isaac Hayes oder Neil Young - die wunderbare Version des Twin- Peaks-Themas Falling nicht zu vergessen! Zusammengefasst wurden diese limitiert aufgelegten Singles im Album Hitparade 1 (1993). Trotz Lob, Hurra und Kult-Status auf der Insel schien Gedge den Plafond seiner Möglichkeiten erreicht zu haben, ohne dass sich das mit der Weltherrschaft ausgegangen wäre. Neben der sich ändernden Musikwelt war der Hauptgrund dafür der, dass Gedge die einzige Fixbesetzung seiner Band war. Die restlichen Mitglieder hießen Fluktuation - oder gingen erfolgreich andere Wege wie Pete Solowka mit den aus The Wedding Present hervorgegangenen Ukrainians. Seit 1997 liegt The Wedding Present auf Eis, und der Grund, warum das noch länger so bleiben könnte, heißt Cinerama. Unter diesem Namen veröffentlichte der heute 42-jährige Gedge 1998 das Album Va Va Voom, und das von Radio-DJ John Peel heilig gesprochene 2000er-Folgewerk Disco Volante bestätigte nachhaltig, dass Cinerama nicht nur ein Seitensprung, sondern eine neue Liebe sein würde. Elegante Melodien kokettierten mit bittersüßen Hollywood-Fantasien der frühen 60er-Jahre. Schlanke Morricone-Gitarren erzeugten ein exotisches Flair, das sich nicht an Gedges Vorliebe für gut dosierte Lärmausbrüche stieß: von null auf hymnisch in einer Sekunde! Dazu erzeugte Gedge exquisite Wehmut, und fertig war ein originäres Ausnahmewerk, das ohne Abstriche als eines der drei besten Alben seines Erscheinungsjahres durchging. Prägten "Disco Volante" luftige Arrangements, unterstrich ein Akkordeon eine süße Hommage an Gina Lollobrigida oder umschmeichelte Geflöte die zur großen Geste neigenden Melodien, verdichtet Gedge auf dem nun erschienen dritten Studioalbum Torino all diese Zutaten, ohne ihre Wirkung zu beschneiden. Im Gegenteil: Kaum einer versteht es besser, leise Töne, wie sie ein Glockenspiel, ein Xylofon oder eine intim geschlagene Akustische erzeugen, mit lauten Gitarren zu paaren und so jene turmhohen Gefühle zu kreieren, als Gedge. Multipliziert werden diese durch den bewährten Einsatz von Streichern, die jedoch keinen klebrigen Bombast verursachen, sondern jene Gefühlsbereiche betonen, in denen die Melancholie ebenso beheimatet ist wie die Nostalgie. Trotz ausgiebigen Zelebrierens dieser Emotionen strapaziert Cinerama keinerlei Retro- oder Revival-Plattitüden. Im Gegenteil: Gedge und seine Freundin Sally Murrell verkörpern Brit-Pop in seiner ergreifendsten Form: ohne sich bei den Beatles anzubiedern, heavy ohne Großkotzigkeit und frei von Querelen mit anderen Bands, die oft bedeutender erscheinen als das eigentliche Werk und so den Stoff britischer Musikkäseblätter liefern. Nein, Cinerama ist schlicht und ergreifend ein Glückszustand. Und dieser dauert und dauert und dauert - hoffentlich noch viele Alben lang. (derStandard/rondo/Karl Fluch/23/8/02)