"Riefenstahl musste den Sündenbock spielen, weil sie eine Frau ist"
Würdigungen zum 100. Geburtstag der umstrittenen deutschen Filmemacherin und Fotografin - Strafverfahren wegen Holocaustleugnung aufgenommen
Redaktion
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Berlin - Zum 100. Geburtstag der Regisseurin Leni
Riefenstahl am Donnerstag haben namhafte KollegInnen das
künstlerische Talent der Deutschen gewürdigt. Volker Schlöndorff und
Paul Verhoeven zollten ihr in der Tageszeitung "Die Welt"
Bewunderung.
"Basic Instinct"-Regisseur Verhoeven schrieb Riefenstahl
bahnbrechende Wirkung zu als Regisseurin des Films "Triumph des
Willens" über den Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg im Jahr 1934.
Der während der deutschen Besatzung aufgewachsene Holländer sagte,
der Film sei "so innovativ und intelligent, dass ich Riefenstahl als
eine der begabtesten Künstlerinnen der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts einstufen würde".
Schlöndorff: "Man kann nicht umhin, sie zu bewundern"
Riefenstahl sei damals genauso verführt gewesen wie andere
prominente Zeitgenossen, ob Martin Heidegger, Ezra Pound oder C. G.
Jung, meinte Verhoeven. "Deshalb verwehre ich mich strikt dagegen,
Leni Riefenstahl anders zu behandeln. Es ist nicht nachzuvollziehen,
weshalb sie nach dem Krieg keine neue Chance mehr bekam im Gegensatz
zu einem Herbert von Karajan, um nur einen Fall von vielen zu
nennen." Riefenstahl habe den Sündenbock spielen müssen, weil sie
eine Frau sei. "Im judäochristlichen Denken ziemt es sich nicht für
eine Frau, öffentlich ihre Stimme zu erheben", erklärte Verhoeven.
Schlöndorff sagte über Leni Riefenstahl: "Man kann nicht umhin,
sie zu bewundern, sowohl für ihre Vitalität, als auch für das, was
sie künstlerisch geschaffen hat." Er fügte hinzu: "Aber es ist immer
ein Risiko, wenn sich einE KünstlerIn einen Förderer aussucht. Das war
schon bei den Medicis im Mittelalter so." Was sehr für Riefenstahl
spreche, sei, dass sie ab 1939 keine Filme mehr für die
nationalsozialistische Partei gedreht habe.
Große Herausforderung für Jodie Foster
Jodie Foster hält die Rolle der Leni Riefenstahl für die wohl
größte Herausforderung ihrer Schauspielerkarriere, wie sie in der
"Welt" schrieb. "Sie war vielleicht einer der wichtigsten FilmemacherInnen
aller Zeiten, und trotzdem wird ihr Werk für alle Zeiten mit den
Schrecken des nationalsozialistischen Deutschlands verbunden bleiben.
Mein Film wird eine moralisch sehr komplizierte Geschichte zu
erzählen haben."
Philipp Stölzl, Regisseur von Musik-Videos mit Madonna und Marius
Müller-Westernhagen, schrieb, Riefenstahl sei eine bedeutende
Filmemacherin, "und das kann ich völlig unabhängig davon sehen, dass
sie in ihren Methoden skrupellos war." Ihn irritiere es nach wie vor,
"dass eine offensichtlich intelligente junge Frau sich derart mit
kulturlosen Halsabschneidern einlassen konnte." Eine Wahrheit des
Kinos bestehe aber auch darin, dass irgendwann das Licht aus und der
Film los gehe und man die Umstände vergesse, unter denen die Bilder
entstanden sind. Der Werbefilm sei zu weiten Teilen von Riefenstahl
beeinflusst, was sich im Mystifizieren und Dramatisieren von Dingen
zeige, sei es ein Trainingsschuh oder ein Auto.
Staatsanwalt beginnt Ermittlungen
Gegen Leni Riefenstahl ist ein Strafverfahren
eröffnet worden. Das meldet der Rom e.V., der "Gemeinnützige Verein
für die Verständigung von Rom und Nicht-Rom", in Köln. Die
Frankfurter Staatsanwaltschaft habe unter dem Aktenzeichen
6101Js225432/02 die Ermittlungen gegen die umstrittene
Filmregisseurin aufgenommen.
Die Staatsanwaltschaft folgt damit dem Strafantrag von Rom wegen
Holocaustleugnung. Riefenstahl behauptet, dass "wir alle Zigeuner,
die im Film 'Tiefland' mitgewirkt haben, nach Kriegsende
wiedergesehen haben". Niemanden von den Statisten sei etwas passiert.
Rom e. V. bezeichnet dies als "infame Lüge". Riefenstahl habe 120
Sinti und Roma als ZwangsarbeiterInnen für ihre Dreharbeiten missbraucht.
Die meisten seien in Vernichtungslagern ermordet worden oder an den
Haftbedingungen zugrundegegangen. Laut Rom e. V. handelt es sich um
das erste Verfahren, das in der Nachkriegsgeschichte gegen
Riefenstahl eröffnet wird. Mit einer Entscheidung nach Abschluss der
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen - Prüfung des Beweismaterials
und Anhörung von Leni Riefenstahl - rechnet der Verein spätestens im
November dieses Jahres.
Riefenstahl will nicht mehr lange leben
Die 100-jährige Leni Riefenstahl fühlt sich
nach eigenen Worten "krank und müde" und möchte nicht mehr lange
leben. "Bei den ständigen Schmerzen, die ich habe, wäre der Tod für
mich eine Erlösung", sagte die umstrittene Filmemacherin der
Illustrierten "Neue Revue". "Ich möchte einschlafen, mich wohl
fühlen und dann geht es zu Ende. Ade. Das muss sehr schön sein",
sagte sie.
Seit Jahren leidet Riefenstahl an den Folgen einer Hüftoperation.
"Damit fing das Elend an", sagte die Regisseurin. "Ich habe über 50
Operationen hinter mir. Alles in meinem Körper ist irgendwann schon
einmal operiert."
"Hab nur nie vergessen zu atmen"
Wie Riefenstahl weiter sagte, erhält sie mehrmals täglich
Morphium-Spritzen, um die Schmerzen zu ertragen. "Mein Kopf ist durch
das Morphium geschädigt. Es macht, dass ich vieles vergesse." Einen
Selbstmord wolle sie den Menschen, die ihr nahe stehen, nicht
zumuten. "Ich will sie nicht unglücklich machen, wenn ich mich
umbringen würde." Tipps für ein langes Leben konnte Riefenstahl nicht
geben: "Ich habe kein Geheimnis. Ich habe nur nie vergessen zu
atmen."
Nach ihrem Tod würde Riefenstahl nach eigenen Worten Adolf Hitler
nicht wieder begegnen wollen. Die Regisseurin hatte mehrere Filme im
Auftrag des NS-Regimes gedreht und war deshalb Zeit ihres Lebens
umstritten. "Was in Deutschland passierte und geschah, woran Hitler
schuld ist, ist so grauenhaft, dass ich ihm wirklich nie mehr
begegnen möchte." Sie würde ihm im Jenseits aus dem Weg gehen, sagte
die 100-Jährige. Sie sei überzeugt, dass Hitler schizophren gewesen
sei.(APA/AP)
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