Kunst
Gestohlenes Gemälde von Tizian wiedergefunden
"Rast auf der Flucht nach Ägypten" in London aufgestöbert - weiterer Erfolg für "Kunst-Polizist" Charles Hill
London - Ein vor sieben Jahren gestohlenes Gemälde des
italienischen Malers Tizian (um 1477-1576) ist in London in einer
großen Plastik-Einkaufstüte sicher gestellt worden. Das Werk "Rast
auf der Flucht nach Ägypten" war im Jänner 1995 aus dem Schloss des
Marquis von Bath entwendet worden. Der Fund ist vor allem ein
weiterer Triumph für den "Kunst-Polizisten" Charles Hill, der seit
seinem Ausscheiden bei Scotland Yard zu einer der wichtigsten
Gestalten im Kampf gegen internationale Kunstdiebe geworden ist und
sich dabei auch unorthodoxer Methoden bedient. "Ich will warten, bis ich es mit meinen eigenen Augen gesehen
habe", ließ der Marquis, derzeit in Frankreich weilend, wissen. Von
der Londoner Polizei - bei der sich zum Entsetzen Hills nur noch zwei
nachrangige Beamte mit Kunstdiebstahl befassen, während sämtliche
Polizei-Experten mittlerweile privat tätig sind - wurde das
Wiederauffinden lediglich bestätigt. Über die näheren Umstände wurde
eisern geschwiegen. Hill hatte in der Vergangenheit immer wieder
beklagt, dass der Kunstdiebstahl von der Polizei nicht ernst genommen
und als Gentleman-Verbrechen betrachtet werde.
Das Bild
Das auf Holz gemalte Bild, das zu den berühmtesten Tizians gehört
und dessen Motiv (die Heilige Familie auf der Flucht vor den Häschern
des Herodes) auch viele andere Künstler beschäftigte, war 1878 vom
damaligen Marquis von Bath bei einer Auktion bei Christie's gekauft
worden. Nach dem Diebstahl aus dem Schloss Longleat in Wiltshire
hatte sich der Marquis von Bath (70), einer der exzentrischsten
Adeligen des Landes, mit Lord Chomondley zusammengetan: Dem war 1992
aus seinem Schloss Houghton Hall in Norfolk unter anderem das Gemälde
"Die weiße Ente" von Jean-Baptiste Oudry gestohlen worden. Die
vereinten Lordschaften gehörten zu den ersten Auftraggebern von
Charles Hill, als sich dieser selbstständig machte.
Hill ist einer breiteren Öffentlichkeit als Polizist bekannt
geworden, der 1994 Edvard Munchs "Der Schrei" sicherstellte. Er gilt
als Mann mit vielerlei Kenntnissen und Kontakten nicht nur zu
Scotland Yard, sondern auch zur Gegenseite. Erst vor wenigen Wochen
hatte er eine Kontroverse ausgelöst, als er David Duddin (57) als
Mitarbeiter einstellte: Dieser hatte nach Verbüßung der Hälfte einer
neunjährigen Gefängnisstrafe wegen Hehlerei eines gestohlenes
Rembrandts erklärt: "Ich möchte, dass die gestohlenen Bilder wieder
zu ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückkommen." Kritik am
Kunstexperten Duddin wies Hill zurück: "Jeder, der mir vernünftig und
legal helfen kann, ist mir willkommen. Entscheidend ist, keine
Verbrechen zu begehen."
"Top Ten"
Sowohl für den Tizian mit einem Schätzwert von mindestens 12 Millionen Euro als auch für den Oudry hatten die
adeligen Besitzer jeweils 100.000 Pfund Belohnung ausgelobt. Beide
Gemälde befanden sich auf einer inoffiziellen "Top Ten"-Liste
gestohlener Kunstwerke, zu der ein 1934 gestohlenes "unschätzbares"
Altarbild der Brüder Jan und Hubert van Eyck ebenso gehört wie
beispielsweise ein 1990 in Boston geklauter Rembrandt "Sturm auf dem
Meer von Galiläa". Tausende gestohlener Kunstwerke im Milliardenwert
sind im Londoner Art Loss Register verzeichnet - zwei können nun
wieder gestrichen werden. Der Tizian, der nicht wesentlich beschädigt
sein soll, muss nun nur noch gereinigt und neu gerahmt werden. (APA/dpa)