Ein Jahr nach Einführung des Euro hat sich die Wiener Börse nun dem europäischen Kapital zugänglich gemacht und die Barrieren eines eigenen Handelssystems mit den sehr hohen Gebühren abgeschafft. Theoretisch können mit dem deutschen System Xetra 300 neue Marktteilnehmer aus acht europäischen Ländern direkt Wiener Aktien handeln. Die Börse, die ihren Beinamen "Rote Laterne Europas" nicht loswerden kann, deren große Aktientitel mit gewaltigen Kursabschlägen und mangelnden Umsätzen leben, hat sich damit in letzter Minute in eine Startposition für die europäische Finanzliga reklamiert. Dass die notierten Unternehmen dort auch spielen können, ist aber noch nicht gesichert. Denn Xetra ändert nichts am Grundproblem: Selbst Konzerne wie VA Tech und Bank Austria sind zu klein, um in die wichtigsten europäischen Indices zu gelangen. Der Streubesitz der Blue Chips ist zu gering, um für Fonds attraktiv zu sein. Dem Leitindex ATX fehlen Telekom- und Internet-Titel. Die Österreicher sind keine leidenschaftlichen Aktienspekulanten. Außerdem trägt der Kapitalmarkt die historische Last von gut geförderten Bankkrediten, von einer Kapitalmarkt-kontraproduktiven Politik und von Börse-scheuen mittelständischen Unternehmen. Börse-Chefs, Emittenten und Investmentbanker haben sich mit dem neuen Handelssystem lediglich ein klar strukturiertes Aufgabenheft geschrieben: Das Produkt "Wiener Börse" muss den Kunden endlich auch wirklich verkauft werden. Denn den Banken droht, dass künftig neue Börse-Mitglieder aus dem Ausland ihre Kundenorders einfach wegschnappen, statt neue Umsätze zu generieren. Um attraktivere Transaktionsgebühren für Kleinanleger und eine neue Servicekultur für heimische Börse-Kandidaten kommen sie jetzt nicht mehr herum.