Wien – Der derzeitige Höhenflug der internationalen Rohölpreise wird nach Ansicht von Experten möglicherweise bald wieder zu Ende sein. Derzeit dominiere das politische Risiko eines US-Angriffs auf den Irak den Markt. Geht es nach den Fundamentaldaten – sprich wie hoch die Nachfrage und die Lagerbestände derzeit wirklich sind -, sollte der Rohölpreis Ende des Jahres selbst im Falle eines Angriff auf den Irak bei rund 20 Dollar liegen, sagte Ölexperte Johannes Benigni, Geschäftsführer des Wiener Energiebrokers PVM Oil Associates, am Freitag im Gespräch mit der APA.

Autofahrer könnten also bald wieder billiger tanken. Und wer mit Heizöl heizt, sollte mit dem Anfüllen seiner Tanks besser noch warten. Den während die Lager bei den Mineralölkonzernen zur Zeit schon übervoll sind, ist die Nachfrage weiter äußerst gering – und das drückt auf die Margen der Konzerne und damit auch die Preise, betonte PVM-Analyst Ehsan Ul-Haq.

Am Freitag kostete in London ein Fass (159 Liter) der meistgehandelten Rohölmarkte Brent zur Lieferung im Oktober am Vormittag 26,97 Dollar, um 5 Cent weniger als am Vortag. Ölhändler hatten am Dienstag noch einen Preis über 30 Dollar bereits nächste Woche nicht ausgeschlossen. Nun zeigt der Trend aber wieder nach unten. Der Preis für ein Barrel Öl der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) ging hingegen am Donnerstag bereits wieder leicht zurück von 26,95 Dollar auf 26,78 Dollar, wie die Nachrichtenagentur OPECNA am Freitag mitteilte.

In nächster Zeit werde sich der Ölpreis voraussichtlich im Bereich "25+" bewegen. Selbst dieses Niveau sei aber nicht nachvollziehbar, erklärte Energieexperte Benigni. Auf der ganzen Welt sei die Nachfrage nach wie vor "matt". Bis auf die USA, wo der Benzinabsatz wieder zugelegt habe, stagnierten die Absätze in allen Regionen. Dem stünden weltweit volle Lager gegenüber. Allein die USA hätten seit Jahresbeginn strategische Reserven von durchschnittlich 150 Millionen Barrel pro Tag eingekauft.

Selbst ein Angriff der USA auf den Irak würde daher nach Einschätzung des Energiebrokers die Ölpreise nicht steigen lassen. Der Irak produziere gerade einmal 2 Millionen Barrel pro Tag. Dem gegenüber stünden in den OPEC-Ländern 5 bis 6 Millionen Barrel an Überkapazitäten, die derzeit auf Grund der bestehenden Förderbeschränkungen nicht ausgeschöpft würden, so der Energiebroker.

"Sobald die Leute einsehen, dass ein Krieg im Irak keine Folgen für den Ölmarkt haben wird, werden die Preise wieder nach unten gehen", meint Ul-Haq.

Auswirkungen auf den Ölmarkt hätte der Konflikt nur, wenn er sich über die Grenzen des Iraks hinaus bewegen sollte. Würde etwa Saudi Arabien – mit 8 Millionen Barrel pro Tag eine signifikante Macht am Markt – in den Konflikt hineingezogen werden, wäre dies "ein Spiel mit dem Feuer", so Benigni. Der Energie-Broker hält dieses Szenario aber derzeit für unwahrscheinlich.

Dennoch geht Benigni davon aus, dass die OPEC bei ihrem nächsten Gipfeltreffen am 19. September in Osaka (Japan) eine Erhöhung der Fördermengen um 1,5 bis 2 Millionen Barrel pro Tag beschließen wird. Dabei gehe es für das Kartell jedoch nicht um die Deckung der Nachfrage am Markt, sondern vielmehr um die Rückgewinnung von Marktanteilen. Denn seit der letzten Fördermengenkürzung mit Beginn dieses Jahres sei der Anteil der OPEC-Staaten am gesamten Internationalen Ölmarkt von 41 auf 37 Prozent zurückgegangen.

Kritische Beobachter meinten sogar, dass das Kartell schon jetzt 1,5 bis 2 Millionen Barrel am Tag mehr produziere, als vereinbart. Mit den Beschlüssen solle in Osaka nur noch die derzeitige Überproduktion legitimiert werden.

Auch bei den Anstrengungen der OPEC, einen militärischen Konflikt im Irak zu verhindern, geht es nach Ansicht des Öl-Brokers "weniger um eine Glaubensfrage als vielmehr ums Geld". Sollte nach einer Militärinterventionen der Amerikaner mit der Absetzung Saddam Husseins auch das Ölembargo auf den Irak fallen, würden mit einem Schlag weitere 2 Millionen Barrel auf den Markt kommen, so Benigni.

Dabei ist die Situation laut PVM-Analyst Ul-Haq schon jetzt angespannt. Nach den jüngsten Prognosen der Internationalen Energieagentur IEA wird die weltweite Ölnachfrage heuer nur minimal um 0,2 Mill. Barrel auf 76,63 Mill. Barrel ansteigen. Im September könnte die IEA ihre Zahlen sogar noch weiter nach unten revidieren, schätzt Ul-Haq. Die OECD geht für Europa und Asien heuer bereits von leichten Nachfragerückgängen aus. (APA)