Alpbach - "Wie gefährlich ist das Niesen?" Diese Frage
stellte Professor Ian Hindmarch vom medizinischen Forschungszentrum
der Universität Surrey, Großbritannien, am Freitag in einem
Arbeitskreis zu "Risiko und Risikowahrnehmung" bei den Alpbacher
Technologiegesprächen. Antwort: Bei einer Autofahrt mit 112 Kilometer
pro Stunde verlängert ein Niesanfall von einer Sekunde den Bremsweg
um 30 Meter. Wenn allerdings ein Allergiker dem Anfall vorbeugt,
indem er Antihistaminika nimmt, kann auch dies den Bremsweg
verlängern.
Risikofaktor Mensch
Das Beispiel sollte zeigen, von wie vielen Faktoren
Risikomanagement in der Medizin und Pharmaindustrie abhängt.
Antihistaminika, warnte Hindmarch, könnten im Straßenverkehr eine
ähnlich reaktionshemmende Wirkung wie Alkohol entfalten und erhöhen
nach Erkenntnissen des Forschers das Risiko eines tödlichen
Verkehrsunfalls um 72 Prozent. Zum Vergleich: Der "Valium"-Wirkstoff
Bezodiazepin erhöht das Risiko laut Hindmarch um 98 Prozent, Alkohol
um 97 Prozent und die Cannabis-Substanz THC um 90 Prozent.
Um den Risikofaktor Mensch im Straßenverkehr auszuschalten,
entwickelt DaimlerChrysler gerade ein Programm unter dem
lautmalerischen Kürzel UFF (Unfall-freies-Fahren). Ein serienmäßig
eingebauter Autopilot könnte schon in zwei Jahren einen
unaufmerksamen Fahrer vor Ball spielenden Kindern auf der Straße
warnen, sagte Hanns Glatz von DaimlerChrysler. Eines Tages habe man
UFF auch dem für Technologie zuständigen EU-Kommissar Erkki Liikanen
präsentiert, erzählte Glatz. Doch der Risikofaktor Mensch kam wieder
herein - in diesem Fall durch die Vordertür: Der Chauffeur hatte
einfach vergessen, den Autopiloten einzuschalten und konnte den Wagen
mit dem Kommissar an Bord in letzter Sekunde vor der Mauer zum Stehen
bringen, auf die er gerade zufuhr.
Glaubwürdigkeitsproblem
Zwischen Risiko und Risikowahrnehmung können Welten liegen. "Mehr
als 50 Prozent der von Ärzten verschriebenen Pillen werden nie
eingenommen", sagte Susan Hilton, Managerin beim Pharmakonzern
Hoffmann La-Roche. Die Risikoeinschätzung von Patienten basiere mehr
auf Gefühlen und Glauben als auf rationalem Verhalten. So hätten
Untersuchungen gezeigt, dass Menschen gerade jenen Personen am
meisten vertrauten, die über die geringsten Informationen verfügten,
nämlich Freunden und Familienangehörigen. Regierungen und große
Unternehmen hätten dagegen ein massives Glaubwürdigkeitsproblem,
sagte Hilton.
Dies sei vor allem ein Alarmsignal für die Experten,
sagte die Managerin. Diese müssten die Ängste der Öffentlichkeit mehr
bei der Produktentwicklung berücksichtigen. Bestes Beispiel ist für
Hilton der Beipacktext für Medikamente, der die meisten Menschen
überfordere.
"25 bis 50 Prozent aller Forschungs- und Entwicklungsprojekte
scheitern", sagte Gerhard Kratky, im Ministerium für Verkehr,
Innovation und Technologie für Forschungspolitik zuständig. Er
empfiehlt dem Staat, gezielt technologische Hochrisikoprojekte zu
fördern, da diese auch die innovativsten Produkte und die höchsten
Gewinne brächten. Eine Gesellschaft ohne Risiko sei weder vorstellbar
noch wünschenswert, resümierte Wim Philippa, vom "Europäischen Runden
Tisch der Industriellen" in Brüssel. Jede Bank, die eine
mathematische Formel zur Abdeckung von Risiken verwende, akzeptiere
damit selbst ein bestimmtes Risiko. (APA)