Salzburg - Jetzt war es also so weit. Christian Thielemann ist für ein Wochenende aus den mythischen Fernen des Bayreuther Grünen Hügels herabgestiegen an die Gestade der Salzach und hat am Samstag im Großen Festspielhaus für sein Debüt an der Spitze der Wiener Philharmoniker zu später Stunde so etwas wie eine klassisch-spätromantische Nachtschicht eingelegt.

Wenn von einem Debüt die Rede ist, und noch dazu von jenem eines ebenso umstrittenen wie unbestreitbar souveränen Dirigenten-Jungstars, der Thielemann ist, dürfte das in solchen Fällen obligatorische Schmuckwort "glanzvoll" eigentlich nicht fehlen.

Dass es dies nicht - oder nicht in jenem Ausmaß gewesen ist, wie man es erwartet hatte, liegt an mehreren Ursachen. Erstens einmal hat, wie schon die Marschallin im Rosenkavalier richtig feststellt, jedes Ding seine Zeit. Daher auch jedes Musikstück. Und zwischen neun und halb zwölf Uhr abends mit einem ausgewachsenen Schreker-Mozart-Strauss-Programm anzufahren ist einfach zu heavy.

Insbesondere dann, wenn man Franz Schrekers unsäglich langatmiges und ­weiliges Vorspiel zu einem Drama als Starter serviert. Thielemanns von den Philharmonikern bereitwillig umgesetztes intensives Bemühen, dieser dick vor sich hin köchelnden symphonischen Soße konturierend beizukommen, konnte deren hypnotische Wirkung nur teilweise neutralisieren. Kein Wunder, dass sich die Reaktion des Publikums nicht über den Grad wohlgesonnener Höflichkeit steigerte.

Bemerkenswerterweise war dies bei Mozarts Klarinettenkonzert (KV 622) nicht anders. Trotz Sabine Meyers engagierten und meisterlichen solistischen Einsatzes auf einer der Originalversion des Werkes entsprechenden Bassettklarinette klang dieser Mozart im Wechselspiel mit dem Orchester insgesamt doch etwas sperrig, akkurat. Ohne jene immer wieder von neuem bestürzende spielerische Leichtigkeit, mit der sich Mozarts unerschöpfliche thematische Kombinatorik in diesem Spätwerk präsentiert.

Nach der Pause allerdings betrat Thielemann das Podium siegessicheren Schrittes, als wüsste er schon im Voraus, dass nun ein Höhepunkt seines jungen dirigentischen Heldenlebens bevorsteht, den die Wiedergabe der gleichnamigen symphonischen Dichtung von Richard Strauss (op. 40) dann auch darstellte.

Thielemann ist kein Blender. Ganz im Gegenteil. Das gestische Vokabular dieses vierschrötigen Dirigenten ist sehr direkt. In seiner zeitweiligen Umständlichkeit erinnert es mitunter an die gediegene alte deutsche Dirigentengarde eines Hans Knappertsbusch, Joseph Keilberth oder Eugen Jochum.

Trotzdem oder gerade deshalb ergab sich mit den Philharmonikern das beste Einvernehmen, was in den geradezu durch Nanodezibel gestaffelten dynamischen Werten, in der anhaltenden Stringenz des Erzählflusses und natürlich in donnernden Höhepunkten hörbar wurde. Und vom trotz später Stunde plötzlich hellwachen Publikum auch nicht minder lautstark bejubelt wurde.

Solcher Jubel schlug Claudio Abbado schon entgegen, als er am Sonntagvormittag im Großen Festspielhaus an das Pult seines Gustav-Mahler-Jugendorchesters trat, und begleitete dessen Darbietungen das ganze Konzert hindurch gewissermaßen als eine Reihe selbstständiger Interludien. Sie waren eher als Sympathiekundgebungen für Abbado und die Musiker denn als begründete Reaktion auf die Darbietungen zu verstehen.

Vertracktes Programm

Seltsamerweise war das Programm nämlich so gewählt, als sollte demonstriert werden, was dieses Orchester (noch) nicht kann - und nicht, um seine zweifellos hohen Qualitäten ins rechte Licht zu rücken. Béla Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta birgt doch sehr ernsthafte rhythmische Fährnisse, die auch professionelle Orchester aus dem Tritt bringen und auch hier trotz einer Lyrik und Konzentration vorbildlich ausgleichenden Einleitung ihre Störeffekte nicht verfehlten.

So wirkte auch Maurice Ravels jazzverliebtes und virtuoses G-Dur-Klavierkonzert trotz der solistischen Prachten, die Martha Argerich dabei entfaltete, ohne Swing und Drive eher taktzählend herunterskandiert. Während Claude Debussys La Mer als mehr dröhnender denn krönender Abschluss zwar im Einzelnen hohe Spielkultur verriet, die sich jedoch nicht zum ineinander verflochtenen Gesamtorganismus zu vereinigen vermochte. (vuji/DER STANDARD, Printausgabe, 26.08.2002)