Jörg Haider will es noch einmal ganz genau wissen, und die Beschwörungen der ÖVP, er möge doch nicht sein Lebenswerk mutwillig zerstören, beweisen nur zweierlei: Die schwarzen Strategen, die ihn mit der Einbindung der FPÖ in die Regierung "zähmen" wollten, haben noch immer nicht begriffen, worauf sie sich da eingelassen haben.
Haiders Lebenswerk ist es nicht, die ÖVP in der Regierung zu halten, schon gar nicht um den Preis der Marginalisierung seiner Partei. Im Moment hat es den Anschein, als ob der Tiger den brennenden Reifen hält, durch den der Dompteur springen soll, wobei des Ersteren Kraft gerade noch reicht, dem anderen den Frack anzusengen.
Im Schatten dieses Dressuraktes, den sich Kanzler Wolfgang Schüssel vermutlich anders vorgestellt hat, bricht unterdessen die FPÖ in ihre Bestandteile auseinander. Wie viel Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer in der Partei noch zu sagen hat, kann von ihrem Einfluss auf den Lauf der blauen Regierungsarbeit abgeleitet werden. Da ist es zum einen unwahrscheinlich, ob sie ihre Linie, die Steuerreform auf bessere Zeiten zu verschieben, durchdrücken kann. Zum anderen sind es, wie so oft im Leben, die kleinen Symptome, die das große Scheitern anzeigen.
Ein Satz zu wenig oder zu viel, beispielsweise: Ihre Rücktrittsdrohung kam zur Unzeit, sie hätte wissen müssen, dass Haider diese Schwäche gnadenlos ausnützt und dass ihr Mobilisierungseffekt verpuffen muss angesichts einer Partei, deren Mitglieder entweder in Schreckensstarre oder johlenden Applaus verfallen, wenn Haider aufsteht. Vielleicht haben die letzten Wochen, als sich die blaue Regierungsmannschaft von den Launen des Alten aus dem Bärental nicht beeindrucken lassen wollte, den Eindruck erweckt, sie hätte ihn endlich ausgestanden und hinter sich gelassen.
Nichts da. Spätestens als Verkehrsminister Mathias Reichhold zum Halali auf die angeblich unerträglichen Privilegien der Eisenbahner blies, hätte Riess-Passer ahnen können, dass ein Sturm aus dem Süden im Anzug ist. Gerade der konziliante Reichhold, der doch fest an ihrer Seite zu stehen schien, setzte ein Signal ganz nach dem Geschmack Haiders.
Ineffizient im Kontext des übergeordneten Sparprogrammes, nach außen aber ohne großen Aufwand als weitere Etappe im Kampf der FPÖ um die Rechte des kleinen Mannes darstellbar. Genau diese populistische Anbiederung wollte Riess-Passer hintanhalten, um Regierungsfähigkeit und -willigkeit für eine weitere Legislaturperiode zu beweisen. Jetzt muss sie eingestehen, dass sie das nicht kann, solange es Haider gibt. Eine zweite Chance, es zu beweisen, wenn es Haider nicht mehr gibt, wird sie den Meinungsumfragen zufolge nicht bekommen.
Ohne Haider löst sich das bröckelnde Potenzial der blauen Protestwähler völlig auf, und aus diesem Dilemma entwickeln sich die unglaublichsten Possen: Die Rücktrittsdrohung Riess-Passers, falls sich die Partei für die Steuerreform 2003 entschließen sollte, beantwortet Haider mit seiner Rücktrittsdrohung, falls sie es nicht tun sollte.
Selten hatten die einfachen FP-Mitglieder die Wahl zwischen zwei so guten Möglichkeiten, sie sollten sich wirklich nicht zieren und die Möglichkeit prüfen, beide zu realisieren. Falsche Zurückhaltung wäre jetzt völlig unangebracht.
Vielleicht sollte sich auch Kanzler Schüssel nach und nach überlegen, wie lange er der Schmiere noch wort- und tatenlos zusehen will. Die FPÖ ist, ob mit Riess-Passer oder Haider an der Spitze, zu einem Mühlstein geworden, der die Kanzlerpartei mit in die Tiefe zu ziehen droht. Substanziell hat sie nichts mehr einzubringen außer weiteren Ballast: Widerstand gegen die Osterweiterung, Streit um die Abfangjäger, mangelnde Glaubwürdigkeit in ihrer Personalpolitik. Als Regierungspartei ist die FPÖ gescheitert, und je schneller die ÖVP das begreift und die Konsequenzen daraus zieht, umso besser für sie und das gesamte Land. (DER STANDARD, Print, 26.8.2002)