Der Altkanzler macht noch einmal
Wahlkampf. Seinen möglichen Nach-Nachfolger
Edmund Stoiber erwähnt er nur einmal
Redaktion
,
Auf den ersten Blick ist es wie
früher: Helmut Kohl steht
massig am Rednerpult, hinter
den Absperrungen stehen
junge Leute und pfeifen. Aber
wie viel sich geändert hat in
den vergangenen vier Jahren,
wird deutlich, als Kohl zu reden beginnt. Der 72-Jährige
nuschelt noch mehr als früher
und widmet sich fast völlig der
Vergangenheit und seinem
Platz in der Geschichte.
Seine Sätze beginnen häufig
mit der Formel: "Wer wie ich
als Ministerpräsident und
Bundeskanzler, 16 Jahre übrigens, die Gelegenheit hatte ..."
Dann erzählt er von Gesprächen mit seinem Freund,
dem französischen Staatspräsidenten
Fran¸cois Mitterrand, der unmittelbar vor der
Wiedervereinigung immer gesagt habe, die
Deutschen würden es schon
schaffen. "Sonst wären sie
nicht die Deutschen."
Und er vergisst an diesem
Dienstagabend auf dem Platz
vor dem Schöneberger Rathaus, an dem er am 10. November 1989 - einen Tag nach
dem Mauerfall - seine berühmte Berliner Rede gehalten hat, auch nicht daran zu
erinnern: "Schröder und die
Genossen haben nicht mehr
an die deutsche Einheit geglaubt." Er aber nicht - die
Junge Union Neukölln erinnert mit ihrem Transparent,
auf dem unter Kohls Konterfei
steht: "Vater der
Einheit!"
Dann beschwört er auch
den Pioniergeist
der Nachkriegszeit. Diesem Beispiel gelte es zu
folgen, und mehr
Selbstständigkeit
zu wagen, wendet er sich an die jungen Leute, die unter den rund 400 Zuhörern in der Überzahl sind:
"Sie sind gute junge Leute,
und sie sind auch deshalb so
gut, weil wir sie erzeugt haben." Nach den ersten Lachern
im Publikum setzt er noch
eins drauf: "Manche meinen,
man sollte diese Übung aufgeben. Aber davor warne ich,
sonst brauchen wir gar nicht
mehr über die Rente zu reden." Kohl genießt den Beifall
sichtlich. Auch Konrad Adenauer wird zitiert: Von ihm
habe "der junge Helmut Kohl
gelernt, dass Wahlkampf aus
zwei Worten Wahl und Kampf
besteht". Deshalb gelte es zu
kämpfen, denn: "Die, die es
nicht können, müssen weg,
und die, die es können, sollen
jetzt ihre Chance haben." Fast
beiläufig fügt er hinzu: Eine
Stimme für die CDU sei "auch
eine Stimme für Stoiber".
Dann winkt er einmal wie
früher ins Publikum, genießt
die "Helmut, Helmut"-Rufe.
Aber schon nach eineinhalb
Minuten verebbt der Applaus. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.8.2002)
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