Die derzeit laufende Debatte um Frühpensionierungen bei staatsnahen Betrieben offenbart ein Maß an Heuchelei, das das in der Politik übliche noch um einiges übersteigt: "Skandal" wird geschrieen, und vom "größten politischen Betrugsfall" ist die Rede. Die "roten" Unternehmen und Gewerkschaften sind die Bösen, die "blauen" und "schwarzen" Vorwahlkämpfer klopfen sich gegenseitig als die großen Aufdecker auf die Schulter.Dass sich dabei insbesondere die Vizekanzlerin als Jägerin der reschen Rentner geriert, zeugt von einer fast schon festspielreifen theatralen Begabung: Die Schüsse in Richtung ÖBB, Post und Telekom sind noch nicht verhallt, da schickt sie im Zuge der Verwaltungsreform Tausende Beamte in Frühpension. Und 55-jährige Lehrer im Land des einfachen FPÖ-Mitglieds bekommen - sofern sie sich in einer Sommerschlussaktion pensionieren lassen - bis zu süße 51.000 Euro als Abschiedsgeschenk. Keine andere Wahl Mit allen zehn Fingern zeigen also jene, die es vormachen, auf Unternehmen, die per Gesetz nicht anders können, als es nachzumachen. Im Gegensatz zur Bundesregierung müssen die Betriebe dabei aber den Spagat zwischen Liberalisierung und privatwirtschaftlichem Wettbewerb auf der einen und zum Großteil beamtetem Personal auf der anderen Seite schaffen. Auf Druck der Regierung wurde die unsanierte Telekom regelrecht an die Börse geprügelt - mit einer Heerschar an unkündbaren Beamten und vorzeitlichen Strukturen. Die Post wurde ebenfalls über Nacht eine gewinnorientierte Aktiengesellschaft - mit denselben Problemen. Auf dem Markt nämlich ist "schlank und rank" das Ideal. Die staatsnahen Betriebe müssen also effizient wirtschaften und ihre zu hohen Personalkosten senken, auch auf Druck der staatlichen Eigentümervertreter. Allerdings haben sie nicht den gleichen Handlungsspielraum wie die Privatwirtschaft, da es fast unmöglich ist, beispielsweise beamtete Telekombedienstete, die nicht mehr gebraucht werden, wirkungsvoll dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Der Grund dafür liegt im Beamtendienstrecht (BDG). Kann ein Beamter aufgrund seiner körperlichen oder geistigen Verfassung eine bestimmte Aufgabe nicht mehr erfüllen, muss ihm laut § 14 BDG ein gleichwertiger Arbeitsplatz angeboten werden. Hat das Unternehmen einen solchen nicht - was während Restrukturierungsphasen immer wieder der Fall ist -, bleibt nur mehr die Frühpensionierung. Wesentlich strengeren Vorschriften unterliegen ASVG-Versicherte. Bei Angestellten erfolgt lediglich eine abstrakte Prüfung, ob österreichweit ungefähr 100 Arbeitsplätze in einem annähernd gleichwertigen Berufsumfeld besetzt sind. Trifft das zu, wird der/ die Betreffende ein Fall für die Arbeitslosenversicherung, kann aber im Unterschied zum Beamten nicht in Frühpension gehen! Ungelernte Arbeiter genießen überhaupt keinen Berufsschutz und können somit auf alle Jobs verwiesen werden. Solange sie daher noch zur Ausübung leichter Tätigkeiten fähig sind - darunter fallen Berufe wie Abräumer in einem Selbstbedienungsrestaurant oder Sitzportier -, ist eine krankheitsbedingte Frühpensionierung unmöglich. Schlechtes Gewissen? Diese Lösungen sind im Bereich des angeblich so privilegierten BDG ausgeschlossen. Den jetzt am Pranger stehenden Unternehmen bleibt also laut derzeit geltender Gesetzeslage nur die krankheitsbedingte Frühpensionierung der Beamten. Das Problem wäre in den Griff zu bekommen, wenn man die in den ausgegliederten Unternehmen nicht mehr benötigten Beamten - bei Gleichwertigkeit des Arbeitsplatzes - in den Bundesdienst rückgliedern könnte. Just dieser Möglichkeit hat aber der Gesetzgeber im Interesse seines eigenen Personalabbauprogramms einen Riegel vorgeschoben. An der derzeitigen Situation kann sich also erst mit der Angleichung von Dienst- und Pensionsrecht der Beamten an das ASVG etwas ändern. Trotz mehrmaliger Ankündigung durch die zuständige Vizekanzlerin hat sich diesbezüglich aber noch nichts bewegt, obwohl eine entsprechende Reform in Anbetracht der geburtenschwachen Jahrgänge dringend notwendig wäre. Denn mit jeder Frühpensionierung - ganz gleich ob in der Privatwirtschaft oder in der Zentralverwaltung - geht der Volkswirtschaft wertvolles "Humankapital" verloren. Da aufgrund der laufenden Debatte anscheinend manche(n) das Gewissen drückt, wird ein erneuter Angleichungsvorstoß noch für diese Legislaturperiode versprochen. Gelingt dieser nicht, muss sich die Bundesregierung in Anbetracht der Umstände zu Recht vorwerfen lassen, Wasser zu predigen und Wein zu trinken. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.8.2002)