Aktionsplan soll bis Sonntag fertig sein - teilweise herrscht Stillstand, im Bereich der Frauenrechte wird sogar Rückschritt befürchtet
Redaktion
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Johannesburg - Änderung der Konferenztaktik beim
UNO-Weltgipfel in Johannesburg: Ab nun werden die bereits am
Tagungsort eingelangten Minister die "großen Brocken" unter den
Themen verhandeln, die Beamten kümmern sich eher um die Details. Das
berichtete der österreichische Delegationsleiter, Generalsekretär
Werner Wutscher, am Freitag im Gespräch.
"Ziel ist es, den 'Aktionsplan' bis Sonntagabend fertig zu
stellen, auch wenn dafür wieder Nachtsitzungen nötig sind. Die
'politische Deklaration' soll dann in der kommenden Woche finalisiert
werden", so Wutscher. Österreichs Umweltminister Wilhelm Molterer (V)
ist seit Freitag früh in Johannesburg. Außenministerin Benita
Ferrero-Waldner (V) folgt am 3. September.
NGOs beklagen Stillstand
Wutscher verspricht sich durch dieses Vorgehen eine Beschleunigung
der Verhandlungen. "Wir haben allein eine ganze Nacht nur über das
Vorsorgeprinzip im Chemikalienbereich debattiert", so der
österreichische Chefverhandler. So komme man zu langsam voran. Die
NGO's beklagten überhaupt, dass der Gipfel still stehe, wie es Judith
Zimmermann von der AGEZ/KOO formulierte.
Bei allen großen Bereichen - Vorsorgeprinzip, Handel und Finanzen,
Umweltverträglichkeit von Subventionen, Umwelt- versus WTO-Recht -
sei bisher nichts Substanzielles weiter gegangen, sagte Iris
Strutzmann von Global 2000. "Handel hat die erste Priorität,
Umwelt die zweite - jetzt warten wir auf die Minister, um das zu
ändern."
Einer der Gründe für die Komplikationen ist der umfassende Ansatz
des Weltgipfels. "Das ist ein Berg von Themen. Bisher ist noch nie
ein so großes Paket verhandelt worden", betonte Wutscher. "Nur: Es
ist eben alles so vernetzt, dass die Angelegenheit anders auch nicht
lösbar ist."
"Zumindest Fortschritte" vs. befürchteter Rückschritt bei Frauenrechten
Der Generalsekretär präzisierte zu den großen
Verhandlungsbereichen, dass in einigen Fällen in Johannesburg
zumindest Fortschritte erzielt worden seien. "Bei der
Vorbereitungskonferenz von Bali hat die Uneinigkeit über die
Handelsfragen alles blockiert. Hier ist jetzt doch vieles gelungen,
so die Integration von Umwelt- und Sozialaspekten in den WTO-Bereich,
weiters im Komplex 'fair trade', und schließlich ist der Bereich
Handel und Finanzen jetzt zumindest deblockiert. Zudem stehen jetzt
die Qualitätskriterien für Entwicklungszusammenarbeit außer Streit".
Iris Strutzmann von Global 2000 gehen die bisherigen Fortschritte
allerdings absolut nicht weit genug. Multilaterale Umweltabkommen
würden immer noch vom WTO-Recht dominiert werden. Judith Zimmermann
(KOO/AGEZ) ergänzte, dass auch in anderen zentralen Bereichen wie
Entschuldung, Umweltverantwortung und -haftbarkeit der Wirtschaft
"die Uhren für Nachhaltigkeit still stehen", im Bereich der
Frauenrechte sei sogar ein Rückschritt zu befürchten.
In dem ausverhandelten Paragraphen für die staatliche
Entwicklungshilfe (ODA) würden keine Zeitpläne zur Anhebung des schon
in Rio bestätigten Ziels - nämlich die ODA der Industrieländer auf
0,7 Prozent des BIP anzuheben - genannt. Ganz im Gegenteil, dieser
Abschnitt strotze vor Unverbindlichkeiten.
Genitalverstümmelungen
Die Besorgnis erregendste Tatsache ist für Zimmermann allerdings,
dass im Bereich der reproduktiven Gesundheitsrechte der Frauen der
seit der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 übliche Bezug zu den
Menschenrechten herausgefallen sei. "Das würde zum Beispiel
Genitalverstümmelungen Tür und Tor öffnen. Die EU ist bemüht, diesen
Paragraphen neu zu öffnen, um das zu korrigieren", so Zimmermann.
"Die Staats- und Regierungschefs müssen endlich aus ihrem Schlaf
erwachen und mit konkreten Maßnahmenpaketen nach Johannesburg
kommen", so Gerald Dick vom WWF, Ökobüro-Vertreter in Johannesburg,
"Die erste Woche ist verstrichen und es gibt nur in den Bereichen
Meere und Chemikalien konkretere Ergebnisse. Das ist eindeutig zu
wenig!"
Die ersten fünf Tage hätten nur Ergebnisse in zwei Teilbereichen
erzielen können: Marine Ökosysteme und bei gesundheitsschädigenden
Chemikalien. "Die Verhandlungen über Handel und Energie sind bis
jetzt reine Lippenbekenntnisse - auch hier liegen die Interessen der
Gipfelteilnehmer weit auseinander", so Dick.
Grundsätzlich merkte Generalsekretär Werner Wutscher aber an, dass
der Eindruck, dass es ausschließlich um die "Stolpersteine" wie
Handels- und Finanzfragen gehe, falsch sei: Quasi im Hintergrund
werde weiter etwa um die Ziele im Umweltkapitel gestritten. Und in
Sachen Klimaschutz gebe es einen Vorschlag von Norwegen, wonach die
Umsetzung der Kyoto-Ziele im Klima-Teil von "Johannesburg" enthalten
sein müssen. "Das wird natürlich von der EU unterstützt", so
Wutscher.
"Fehlen von politischer Bereitschaft"
"Poker um den Aktionsplan und die gemeinsame Erklärung und die
Gefahr, hinter den Standard von Rio zurückzufallen; aber auch eine
gewisse Aufbruchsbereitschaft prägen die ersten Verhandlungstage in
Johannesburg", so umriss die Delegierte der österreichischen Grünen,
Gabriela Moser, die Lage beim UNO-Weltgipfel in Johannesburg.
Moser am Freitag in einer Aussendung: "Ein Erfolg im Hinblick auf
die Fortführung des Rio-Prozesses durch einen konkreten
Umsetzungsplan scheint unerreichbar. Es fehlt die politische
Bereitschaft der angelsächsischen Staatengruppe, vor allem aber die
der USA, verbindliche Ergebnisse zu erzielen."
"Angesichts dieser wenig Verbesserung versprechenden
Gesamtsituation müsste die österreichische Bundesregierung eine
deutlich kritischere Stimme erheben und in ihrem Wirkungsbereich mehr
verbindliche Abmachungen einklagen", forderte die Grüne
Nationalratsabgeordnete.
(APA)
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