Literatur
Meer als ein neuer Verlag
Aus dem Wasser kommen wir schließlich alle: gute Voraussetzung für ein Buchprogramm
Aus der Verlagsbranche sind in den letzten Jahren eher Krisenmeldungen gekommen, große Namen sind ausgehöhlt worden oder überhaupt verschwunden. Und alle klagen über schlechte Aussichten und mangelndes Geld.Um so mehr erstaunt die Nachricht, dass ein Team auf diesem Markt einen Neuanfang wagt - wobei es gar so neu auch nicht unterwegs ist: marebuchverlag - so die Schreibweise, im Original in unterschiedlich fetter Sans-Serif-Typografie - ist das neueste Kind des Dreiviertel Verlags, der seit sieben Jahren mare, die anspruchsvolle "Zeitschrift der Meere", herausgibt (wir berichteten darüber) und seit einiger Zeit im NDR die Reihe mare TV verantwortet. Die Titel sind Programm, im weitesten Sinn: Alles, was mit dem Maritimen zu tun hat, findet Eingang in das Zweimonatsperiodikum bzw. in die Sendungen, die ebenfalls viel Lob ernten. Es sind keine Spezialangebote für Segler oder Angler, sondern allgemein Wissenswertes, Spannendes und Amüsantes mit den großen Wassern als Referenz im Hintergund, von einem Schweizer in Hamburg ausgeheckt und mit viel Fantasie umgesetzt.
Nun also auch in Buchform, und wieder ist der Name eher assoziativer Spielball denn strikte Vorgabe. "Wir begreifen das Meer als kulturellen Raum", sagt Nikolaus Hansen, der Verleger mit Rowohlt-Vergangenheit, "als ein Thema, das jeden angeht." Der Verlag sei also thematisch zwar eingeschränkt, aber nicht für ein Special-interest-Publikum gedacht: "Das ist vollkommen neu."
Sachbücher spielen - naturgemäß? - eine besondere Rolle: In den ersten Bänden, diesen Herbst, geht es um die wahnsinnigen Entdeckungsreisen des John Barrow, um die Auslotung der Meerestiefen, um Piraten, die Kulturgeschichte des Schwimmens und eine Selbsterfahrung auf einsamer Insel. Gleichwertig aber wird Belletristik angeboten, als Originalausgaben bzw. in Übersetzungen (wobei die ÜbersetzerInnen im Verlagskatalog einen erfreulich prominenten Platz einnehmen).
Schließlich gibt es die marebibliothek innerhalb des Programms, neue Texte, die "zeitgenössische Sichtweisen des Meeres von international bekannten Gegenwartsautoren" präsentieren. "Wir haben Autoren weltweit aktiv angesprochen. Je mehr sich die Sache herumspricht, um so mehr kommen natürlich von sich aus und möchten auch dabei sein." Wir, das sind Hansen und der marebibliothekar Denis Scheck, Literaturchef beim Deutschlandfunk in Köln, der auch nichts dagegen hat, "für bestimmte Autoren sehr weit zu laufen. Wer sich dafür zu fein ist, sollte die Finger davon lassen." Für die erste Runde hat Scheck den amerikanischen Autor David Foster Wallace eingeholt (siehe unten), eine Mordsgeschichte der jungen Antje Rávic Strubel und einen Grenzgang zwischen Eros und Politik von Hanan al-Shaykh sozusagen an Land geholt - und sogar eine alte Größe der deutschen Schreibkunst auf neue Wege gelockt: "Meer von Robert Gernhardt" ist das Resultat eines Briefwechsels, der am Ende des Bandes dokumentiert ist. Aus ihm geht, sagt Scheck, "sehr schön hervor, wie ein Autor die maritime Seite seines Werks für sich selbst entdeckt. Die Pointe ist dabei, daß Gernhardts Mutter als junges Mädchen ein Kapitänspatent erwarb und noch hoch in den Neunzigern gesegelt ist." Auf Pynchon, Nadolny, Auster und andere kann man schon gespannt sein.
Die Konkurrenz mit den angestammten Verlegern dieser Schreiber soll sich deswegen in Grenzen halten, weil sie für die Meeresthemen quasi nur ausgeborgt sind. Überhaupt sei, meint Hansen, die Branche eher froh über die derzeit "einzig gute Nachricht in der Branche".
In den Binnenländern Schweiz und Österreich werden mare-Bücher sowie das Magazin und seine Hörbücher flächendeckend erhältlich sein. Kinderbücher sollen noch dazu kommen. Plakate, Postkarten und weiteres flankierendes Merchandising sind schon vorhanden.
Man sieht, das Thema ist weit und offen. Dennoch die Frage an den Schwaben Denis Scheck, was er persönlich mit dem Meer am Hut hat: "Wie alle Menschen bestehe ich zu zwei Dritteln aus Wasser. Neben dieser konstitutiven Vorgabe arbeite ich hart daran, von Köln aus das Meer zu sehen." (Michael Freund/DER STANDARD, Album, Printausgabe, 31.08.2002)