Reisen ist in diesen Tagen nichts Außergewöhnliches mehr. Oder anders gesagt: Wer das Außergewöhnliche sucht, wird auch im Reisebüro entsprechende Angebote finden. Zum Beispiel luxuriöse Kreuzfahrten durch die Karibik, eine Destination und Reiseform, die immer noch zu den exquisiteren ihrer Gattungen gerechnet werden dürfen. David Foster Wallace, einer der zurzeit beachtetsten amerikanischen Schriftsteller, von dem nun nach der Kurzgeschichten-Sammlung Kleines Mädchen mit komischen Haaren endlich auch ein zweites Buch auf Deutsch vorliegt, hat eine solche unternommen. Er wurde von Harper's Magazine gegen Bezahlung geschickt, mit dem Auftrag, eine Reportage zu schreiben: Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich (A Supposedly Fun Thing I'll Never Do Again) lautet der Titel - und das Fazit.Blick des Anthropologen Wallaces Blick auf das Schiff "Zenith" (das er gleich einmal in "Nadir" umtauft) ist der eines Anthropologen, der das erste Mal mit einem ihm bislang unbekannten Phänomen von ungeheuerlichen Ausmaßen konfrontiert wird. Ein Zugang, der das Gesehene und Erlebte behandelt, als wäre es der Inbegriff von Exotik, zugleich jedoch keine Distanz aufrecht erhalten kann. Denn im Grunde ist Wallace selbst Teil dieser Konsumkultur und vor allem auch Adressat des touristischen Programms, das dort unaufhörlich auf ihn einwirkt: Es beginnt beim Katalog - ein Kapitel des Buches ist allein dem Umstand gewidmet, dass Schriftstellerkollege Frank Conroy einen Text zu diesem verfasst hat, der nicht ausdrücklich als Werbung gekennzeichnet ist - und dessen sprachlichen Strategien der Glücksverheißung. Eine Verheißung, die zwar eintritt, insofern einem an Bord sogar die Frottee-Badetücher am Pool fast unbemerkt hinter dem Rücken gewechselt werden, bei Wallace jedoch zu der Vermutung führt, dass das Traumschiff nichts anderes als eine einzige Todesverdrängungsmaschine sei - die meisten Passagiere sind übrigens Rentner. Mittels Ertüchtigungs- und Freizeitangeboten wird nonstop der Gedanke an die Vergänglichkeit vertrieben, was beim Autor allerdings die umgekehrte Wirkung hat: Ihn überkommt Verzweiflung. Schrecklich amüsant . . . ist ebenso klug wie brüllend komisch. Wallace analysiert nicht nur die exakt durchexerzierte Hierarchie, die zur Aufrechterhaltung des "Glücksgefühls" an Bord vonnöten ist (und trifft damit ins Herz touristischer Arbeitswelten), er verfolgt nicht nur die die Ideologie dieses Zerstreuungs-Konzepts vom Badezimmerlicht bis zum ungarischen Kellner im Fünf-Sterne-Restaurant; er liefert auch das Psychogramm eines "blinden Passagiers", der sich agoraphobisch veranlagt in seiner Kabine verschanzt und sich dort unter anderem von Körben von Obst ernährt, bei der Besatzung durch seltsame Anfragen schnell als Sonderling gilt und sich in paranoide Wahnvorstellungen hineinsteigert - so befürchtet er beispielsweise vom imposanten Hochleistungsklo entsorgt zu werden. In oft erstaunlichen assoziativen Sprüngen erstellt Wallace derart eine Art Hypertext - mit manchmal seitenlangen Fußnoten -, der ebenso als populäre (Massen-)Kulturkritik lesbar ist wie als skurrile Reisereportage, die auch das eigene Scheitern und kindische Späße nicht ausspart. Anders als Michel Houellebecq, der in seinem letzten Roman Plattform das Prinzip von Angebot und Nachfrage der Tourismusindustrie auf die Spitze treibt und einen Durchschnittsbürger vorführt, der an Pauschalreisen nichts zu beanstanden hat, bleibt Wallaces Alter Ego ein störrischer Individualreisender, der sich in keiner sozialen Gruppe wiederfindet. Auf der "Nadir" gibt es denn auch keinerlei Sex, alles scheint dort auf die Übererfüllung und damit letztlich auch Auslöschung jeglichen Triebes angelegt. Im letzten Kapitel der Reportage hetzt Wallace von einem Termin zum nächsten - vom Gottesdienst über die Führung durch den Maschinenraum bis zur Abendunterhaltung mit einem Hypnotiseur. Das suggestive Vorgehen von letzterem, einem Engländer, der seinem Publikum mit Verachtung begegnet und es dazu bringt, Sätze wie "Mami, Mami, ich will auch so ein Zipfelchen!" auszurufen, dient ihm schließlich auch als treffendstes Bild für die Logik der Dienstleistungen an Bord des Schiffes - eine einzige Anstrengung, von der eigenen Bedeutungslosigkeit abzulenken. (Von Dominik Kamalzadeh/DER STANDARD, Album, Printausgabe, 31.08.2002)