Egal, wie ernst man Jörg Haiders neuerliche Rückzugsankündigung nimmt, er hat damit vor allem eines erreicht: Er mobilisiert seine Anhängerschaft in der Partei und verschärft damit die Flügelkämpfe in der Partei. Bei seiner Klientel hat er ein neues Feindbild festgesetzt: Susanne Riess-Passer, die Parteichefin und Vizekanzlerin.Natürlich hat sich Jörg Haider auf dem Weg hinaus alle Türen offen gelassen, nichts anderes hätten wir von ihm erwartet. Das Selbstmitleid, das er so trotzig zur Schau stellt, hat ein Kalkül: Spätestens im kommenden Jahr, wenn die FPÖ auch dank seiner Eskapaden das Ergebnis von fast 27 Prozent bei den letzten Wahlen nicht anders als deutlich verfehlen kann, wird er da sein, sich nicht lange bitten lassen und erneut die "Konkursmasse" in die Hand nehmen. Spätestens 2003. Wenn nicht schon viel früher. Seine Anhänger und jene, die mit Riess-Passer nicht zufrieden oder einverstanden sind, laufen schon. Das sind nicht nur die Kärntner, das sind auch die Wiener, die Niederösterreicher und vor allem die Oberösterreicher. Sie wollen ihren Jörg zurück, und zwar dorthin, wo er ihrer Ansicht nach hingehört: an die Spitze. Nichts und niemand könne sie auseinander bringen, hatte Riess-Passer wieder und wieder betont. Da hat sie den Jörg wohl unterschätzt. Der Vizekanzlerin muss man aber zugestehen, dass sie in den vergangenen Tagen an Profil gewonnen hat, dass sie in der Auseinandersetzung mit dem zornigen, verbitterten Mann in Klagenfurt gewachsen ist. Sie muss jetzt zeigen, ob sie auch ohne Anweisungen aus Kärnten Kurs halten kann - und ob sie diesen Kurs auch gegen Kärnten halten kann. Der Parteivorstand am Dienstag wird auf diesem neuen Weg die erste große Prüfung sein - es wird nicht die letzte sein. Riess-Passer ist mit einem mehr oder weniger offenen Putschversuch konfrontiert. Die Haider-Fans in der Partei sinnen auf Rache. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.9.2002)