Die Schultüte tröstet über das Ende der ewigdauernden Spielzeit hinweg - In Österreich wurde das Stanitzel erst um 1940 eingeführt...
Redaktion
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Wien - Für 93.000 Taferlklassler beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Als
Belohnung für die Aufregung wartet die Schultüte, die seit rund 60
Jahren österreichische Kinderherzen höher schlagen lässt.
Volkskundler haben den Ursprung der Schultüte im großstädtischen
Milieu Mittel- und Norddeutschlands lokalisiert und seinen "Import"
in die Alpenrepublik auf die Zeit um 1940 festgelegt. Allerdings
bezeugt schon der römische Dichter Horaz in seinen "Satiren" die
Verabreichung von Süßem en masse an Schulneulinge.
Stanitzel mit Nützlichem
Bei ärmeren Familien in deutschen Landen war das Stanitzel
keineswegs mit Zuckerhältigem allein gefüllt, sondern mit einem Paar
brauchbarer fester Stiefel, einem Brotwecken sowie anderen
Gebrauchsgegenständen, obenherum verziert mit einigen wenigen
Leckereien. Kindern im Vorschulalter erzählte man, die Zuckertüte
wachse auf einem "Zuckerbaum" mitten im Klassenzimmer und warte nur
auf die anstürmende Schar pflückwütiger Erstklassler.
Trost
Die Wurzeln des Brauchs liegen vermutlich in einer ganz anderen
Tradition. "So trösteten in manchen Gegenden Mitteldeutschlands
Eltern ihre Kinder mit Zückertütchen, wenn sich neuer Nachwuchs in
der Familie einstellte", schreibt Hans-Werner Völkel in dem Buch
"Tornister, Tafel, Tintenfass - Eine bergische Schulgeschichte". Die
Süßigkeiten in der so genannten Storchentüte sollten wohl ein Trost
für die verminderte elterliche Zuwendung sein. Anfang des 20.
Jahrhunderts verschwand dieses Trostpflaster allerdings aus dem
Volksbrauchtum.
Tütenvergleich
Auch der Schriftsteller Erich Kästner, der im Februar 1899 in
Dresden das Licht der Welt erblickte, freute sich über den süßen
Brauch in seinem Buch "Als ich ein kleiner Junge war": "Die Eltern
standen, dicht gedrängt, an den Wänden und Gängen, nickten ihren
Söhnen ermutigend zu und bewachten die Zuckertüten. Das war ihre
Hauptaufgabe. Sie hielten kleine, mittelgroße und riesige Zuckertüten
in den Händen, verglichen die Tütengrößen und waren, je nachdem,
neidisch oder stolz." Doch der selbst ernannte "Zuckertütenfürst"
stolperte und brach dabei ausgerechnet die Spitze seiner Tüte ab.
"Ich erstarrte zu einer Salzsäule. Zu einer Salzsäule, die eine
Zuckertüte umklammert. Es rieselte und purzelte und raschelte über
meine Schnürstiefel."
In Österreich wurde das Stanitzel erst um 1940 eingeführt
In unseren Breiten wurde die Leckerei in Stanitzelform erst um
1940 eingeführt, zu einer Zeit, als Österreich "Ostmark" hieß: Im
"Reich" hatte man beschlossen, überall im Lande genormte
Einheits-Schultüten durch die Lehrerschaft verteilen zu lassen. Damit
wollte man Auswüchsen von immer größeren und aufwendigeren Präsenten
vorbeugen und einen Beitrag zur "sozialen Gerechtigkeit" und
"nationalen Gleichheit" leisten. Dennoch dauerte es bis in die
sechziger und siebziger Jahre, ehe der Brauch in Österreich wirklich
breit Fuß gefasst hatte. (APA)
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