Wie muss es um die Pressefreiheit in Deutschland bestellt sein, wenn sich der Kanzlerkandidat der Union, Edmund Stoiber, als ihr Verteidiger aufschwingt? Es ist schon bizarr, wenn ein konservativer Politiker in Wahlkampfreden gegen den Einstieg eines deutschen Medienkonzerns bei einem anderen Presseunternehmen wettert und seinen "politischen Widerstand" damit begründet, dass dieser "links" sei und dadurch die "offene Presse" gefährdet wäre. Wie es um diese "offene Presse" bestellt ist, davon kann sich jeder Bürger in Deutschland beim Blick in die Zeitungen des Springer Verlags tagtäglich überzeugen. Dort wird in diesen Tagen sehr deutlich Partei für die Union ergriffen.Dabei ist gegen einen Einstieg der WAZ bei Springer einiges einzuwenden - aus kartellrechtlicher Sicht. Springer ist mit einem Marktanteil von fast 25 Prozent der mit Abstand größte Zeitungsherausgeber in Deutschland und verlegt unter anderem die Bild-Zeitung und die Welt. Die WAZ-Gruppe ist dagegen die Nummer drei auf dem Pressemarkt und regionaler Marktführer in Nordrhein-Westfalen mit Titeln wie der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und in Thüringen mit der Thüringischen Landeszeitung. Wenn die WAZ 40 Prozent an Springer übernähme, wäre dies eine bedenkliche Konzentration am deutschen Medienmarkt, der aber keinen Linksrutsch befürchten lässt. Denn anders als beim Hamburger Verlagshaus wird im Essener Konzern - zumindest in Deutschland - mit den Zeitungen nicht Politik gemacht, sondern versucht, Geld zu verdienen. Auch Stoiber sollte bei seinem Leisten bleiben. Offenbar ist ihm der Fall Leo Kirch keine Lehre gewesen. Trotz des massiven Engagements der bayerischen Landesregierung ist der Medienkonzern insolvent. Und genau deshalb steht Kirchs 40-Prozent-Anteil an Springer zum Verkauf. Das zeigt, wohin es führt, wenn sich Politiker im Medienbereich einmischen. (DER STANDARD, Printausgabe, 3.9.2002)