Mit einem Gesetz hat es die italienische Mitte-rechts-Regierung derzeit besonders eilig, Premier Silvio Berlusconi persönlich hat absolute Priorität angeordnet: Im Eilverfahren wollte die Regierung nach der Sommerpause eine neue Bestimmung über die Befangenheit von Richtern durch die Abgeordnetenkammer peitschen. Kammerpräsident Pierferdinando Casini schob dem allerdings einen Riegel vor. Das neue Gesetz, dessen Verabschiedung durch den Senat Ende Juli zu den heftigsten Parlamentstumulten seit Jahren geführt hatte, wird im Normalweg diskutiert, vor Anfang Oktober ist mit keinem Beschluss zu rechnen.Es sei ein Lauf gegen die Zeit, heißt es bei der Opposition. Nur noch dieses Gesetz könne Berlusconi vor einer Verurteilung retten. Der Premier steht in Mailand wegen Korruption vor Gericht; einer der beiden Prozesse gegen ihn steht vor dem Abschluss, die Richter könnten noch im September ein erstes Urteil fällen. Das geplante Gesetz - es würde Angeklagten erlauben, ein Gericht auch nur wegen "scheinbarer Befangenheit" abzulehnen - käme Berlusconi entgegen. Die beiden Prozesse würden erneut verzögert, im Falle einer Verlegung an ein anderes Gericht würde die Verhandlung von vorne beginnen. Katastrophale Wirtschaftslage Für die Opposition, aber auch für kleine Teile der Mehrheit ist die Diskussion über die katastrophale Wirtschaftslage dringlicher als das Justizgesetz. Haushaltsdefizit und Inflationsrate sind auf ein Rekordhoch geklettert, jedes Monat veröffentlicht das Statistikamt neue Hiobsbotschaften. Nach einem Krisengipfel zwischen Berlusconi und dem immer stärker unter Druck kommenden Wirtschaftsminister Giulio Tremonti versprach man zwar, die Steuerreform wie versprochen 2003 umzusetzen; wie damit aber ein zusätzliches Bilanzloch verhindert werden kann, ließ man offen. Um die leeren Kassen zu füllen, überlegt die Regierung einen neuen "Strafnachlass" für Steuersünder. Für ein kleines, sofort zu bezahlendes Bußgeld soll eine Amnestie für Steuersünder eingeführt werden, auch Tausende Bauvergehen könnten mit Geld getilgt werden. Zudem hofft man immer noch, dass auch andere EU-Staaten die Aufweichung der Maastricht-Kriterien fordern müssen. Am 19. September ist eine große Parlamentsdebatte zur Wirtschaftspolitik angesetzt, dann will die Opposition den Rücktritt des Wirtschaftsministers fordern, dessen einziges Rezept es sei, Wirtschaftskriminellen Straffreiheit zu gewähren. Weil auch die Inflation auf 2,3 Prozent geklettert ist, kommt auf die Regierung ein neuer heißer Herbst zu. Der "Inflationsplan" liegt bei nur 1,4 Prozent, sollte die Regierung die Löhne nicht der tatsächlichen Inflation anpassen, werden die Gewerkschaften mit massiven Streiks antworten. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.9.2002)