Wenn der Finanzminister 2003 oder 2004 eine Steuerreform durchzieht, dann gibt er den Steuerzahlern vor allem das zurück, was zuvor heimlich aus ihren Taschen gezogen hatte. Der Grund ist die "kalte Progression": Steigt der Gehalt durch die Inflationsabgeltung, rücken Arbeitnehmer in höhere Steuerklassen auf. Man zahlt mehr Steuern, ohne real mehr verdient zu haben. Der Finanzminister nimmt so zusätzlich 100 bis 150 Millionen Euro im Jahr ein - und kann alle paar Jahre eine Anpassung als Steuergeschenk verkaufen.Die kalte Progression ließe sich vermeiden, wenn man die Steuertarifstufen - derzeit 50.871 Euro Jahreseinkommen für die höchste Steuerstufe - jährlich an die Inflation anpasste. Ökonomen haben früher eine solche automatische Indexierung im öffentlichen Bereich abgelehnt, weil sie dadurch eine Beschleunigung des Preisauftriebes befürchteten. Doch dank der strikten Anti-Inflations-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) scheint diese Sorge kaum noch berechtigt. Bleibt das politische Argument: Der Wegfall der kalten Progression würde in den Jahren zwischen Steuerreformen die Budgeterstellung erschweren. Außerdem sind selbst unechte Steuersenkungen praktische Wahlkampfzuckerln, auf die eine Regierung ungern verzichtet. Doch in jüngster Zeit hat sich das Thema Steuerreform für Österreichs Regierungen zunehmend als Bumerang erwiesen. Es war ein zentraler Streitgrund in der Spätphase der rot-schwarzen Koalition und brachte 1999 dennoch keine Wähler. Diesmal droht es gar eine Partei zu zerreißen. Das lässt den Schluss zu: Je weniger Politiker am Steuersystem herumfummeln, desto besser für sie. Vielleicht kommen sie so doch noch auf den Geschmack einer automatischen Steuersenkungsmaschine. (DER STANDARD, Printausgabe 6.9.2002)