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Rom, Lateransbasilika, Samstagnachmittag

Foto: REUTERS/Alessia Pierdomenico

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Nanni Moretti

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Waren es 190.000, wie die Polizeidirektion vorsichtig schätzte? Oder eine Viertelmillion, wie die Stadtpolizei mutmaßte? Oder eine Million, wie die Veranstalter euphorisch versicherten? Eines ist unumstritten: Es war die größte je in Italien von Privatpersonen veranstaltete Kundgebung. Die unübersehbare Menschenmenge, die sich am Samstag vor der Lateranbasilika drängte, übertraf auch die kühnsten Erwartungen der Veranstalter. Zur Kundgebung hatte eine Gruppe Künstler und Intellektuelle um den Regisseur und Schauspieler Nanni Moretti aufgerufen. Politiker waren von der Tribüne ausgesperrt. "Das ist die erste Kundgebung meines Lebens", gestand die 64-jährige Rentnerin Anna Gentile. Und die 73-jährige Rosa Gianforotti pflichtete ihr bei: "Ich bin mit dem Zug aus Mailand gekommen. Alleine." Jugendliche mit Che-Guevara-Shirts, Familien mit Kindern, Mitglieder der Linksparteien, Hausfrauen, Arbeiter und Intellektuelle, Nonnen und Priester, enttäuschte Berlusconi-Wähler: Es war ein breites Spektrum, das bei hochsommerlichem Wetter die Piazza San Giovanni füllte. Zehntausende trugen orange Stirnbänder mit der Aufschrift "Ich bin auch dabei!" Gestörtes Verhältnis Die dreistündige Großkundgebung mit einem Meer von Fahnen, Transparenten und Luftballons hatte den Charakter eines Volksfestes. Musikgruppen, Sänger und Redner lösten einander - nicht ohne Pathos - auf der Tribüne ab. Nanni Moretti attackierte Regierungschef Silvio Berlusconi und dessen "gestörtes Verhältnis zur Demokratie". Kritik gab es auch für das Linksbündnis. "Wir werden unsere Anliegen weiterhin an die Parteien delegieren. Aber wir werden ihnen keinen Blankoscheck mehr ausstellen", kündigte Moretti an. Zu den Rednern gehörten Rita Borsellino, Schwester eines von der Mafia ermordeten Richters, der Pazifist Gino Strada, dessen Organisation Emergency Krankenhäuser in Kriegsgebieten betreibt, und Uniprofessor Francesco Pardi aus Florenz, eine der Symbolfiguren der neuen Bürgerrechtsbewegung. Noch während der Kundgebung genehmigte der Justizausschuss der Kammer die neue "Lex Berlusconi", die den Regierungschef aus dem in Mailand laufenden Korruptionsprozess befreien soll. Berlusconi soll sich noch heuer vor einem Gericht in Mailand wegen des Vorwurfs der Bestechung von Richtern verantworten. Er hat die Vorwürfe zurückgewiesen und sagt, die Richter in Mailand wollten sich aus politischen Gründen an ihm rächen. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.9.2002)