Miroljub Labus war nie ein Kirchgänger, doch dem Rat seines Wahlkampfstabes folgend, hielt er es in letzter Zeit doch für angebracht, sich fromm zu geben. Eine Reise nach Griechenland benützte er, um auch die serbisch-orthodoxe Mönchsrepublik auf dem heiligen Berg Athos zu besuchen. Dort betete er mit dem Prior des Klosters das Vaterunser und schlug demonstrativ auf orthodoxe Art von rechts nach links das Kreuz. Die Anhänger seines tief religiösen, konservativen Kontrahenten, Vojislav Kostunica, konnte er damit nicht überzeugen, und auch einige seiner eigenen Wähler stieß er mit der frommen Einlage ab. Serbische Nationalisten brachten im Wahlkampf das Gerücht auf, Labus sei Jude, sein Sohn sei israelischer Staatsbürger. Nun hat Labus gar keinen Sohn, sondern zwei Töchter, und er ist auch nicht Jude. Dennoch hielt es der bürgerlich orientierte, tolerante Demokrat für angebracht, laut zu beteuern, dass er kein Jude sei, und umständlich seine serbisch-orthodoxe Herkunft nachzuweisen. Damit ließ er sich auf das Spiel der Nationalisten ein, was sich als ein folgenschwerer Fehler erweisen könnte. Miroljub Labus, vor 55 Jahren im Dorf Mala Krsna mitten in Serbien geboren, hat in Belgrad Jus studiert und an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften promoviert. Er war Gastprofessor in den USA und hat Lehrbücher über politische Ökonomie geschrieben, die für Generationen von Belgrader Studenten Grundlagenliteratur waren. Er ist ein Mann der höflichen Umgangsformen, dem es sichtlich schwer fällt, bei Kundgebungen zu schreien, doch er wirkt mutig und entschlossen. Als vor zwei Jahren der damalige Ministerpräsident die Auslieferung von Slobodan Milosevic wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht unterzeichnen wollte, tat das Labus aus eigener Initiative. Er war Mitbegründer der Demokratischen Partei, die sich danach mehrmals gespalten hat. Obwohl er in dieser Partei zeitweilig Stellvertreter von Premier Zoran Djindjic war, hat er sich nie in die erste Reihe gedrängt, sondern sich lieber seinem Fach gewidmet. Auch die wichtige Expertengruppe "G-17" hat er mitbegründet: Für sie trat er vor zwei Jahren als Vizepremier an und hat erfolgreich die Aussöhnung des isolierten Landes mit Weltbank und Internationalem Währungsfonds betrieben. Mitglieder der G-17 besetzen die wichtigsten Ämter in der Regierung, ihre Leistung wurde mit Bewunderung von der Staatengemeinschaft gelobt. Für das Amt des Präsidenten kandidiert Labus in der Hoffnung, die Reformen in Serbien schneller vorantreiben und den Nationalisten eins auswischen zu können. Ob die Bürger dem liberalen Gentleman ihr Vertrauen schenken werden, wird sich am Sonntag erweisen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.9.2002)