"Die Lähmung". So bezeichnete Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vor einer Woche im STANDARD -Interview die Aussicht auf eine rot-schwarze Koalition. Schüssel spricht aus Erfahrung. Er hält sich aber vorderhand alle Koalitionsmöglichkeiten offen, auch wenn er kaum einen Hehl daraus macht, dass er selbst am liebsten Schwarz-Blau fortsetzen würde. Das ist insoferne mutig, als dieses Experiment soeben mit großem Getöse krachen gegangen ist. Aber es ist ehrlich.

Von SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer weiß man, dass seine Vorliebe Rot-Grün gilt. Dennoch macht er der ÖVP nun ein unmoralisches Angebot: Wie wär's mit Rot-Schwarz? Lassen wir doch die alte Koalition wieder aufleben. Ganz anders als früher freilich, lockerer, flexibler - eben neu regieren.

Eine Partnerschaft mit freiem Spiel im Parlament ist allerdings nicht neu und schon einmal gescheitert - 1997 an der Abstimmung über die Herabsetzung der Promillegrenze im Straßenverkehr auf 0,5. Danach wurde der koalitionsfreie Raum geschlossen.

Gusenbauers Angebot kommt dennoch überraschend. Nicht nur, weil es kaum auf große Gegenliebe stoßen wird, sondern auch, weil in der SPÖ selbst nicht unbedingt Sehnsucht nach einer neuerlichen Zusammenarbeit mit dem alten Koalitionspartner vorherrscht. Gusenbauers Ansage kommt aber sicher nicht aus reinem Herzen, vielmehr dürften strategische Überlegungen dahinter stehen. Sprich: Umfragen.

Schwarz-Blau und Rot-Grün sind in Österreich derzeit nicht sonderlich gefragt. Schwarz-Blau, weil man es eben kennen gelernt hat, Rot-Grün, weil man es eben nicht kennt. Viele Österreicher halten beide Koalitionen für nicht sonderlich wünschenswert, und da erscheint die dritte Variante als das geringste Übel. Auch wenn mit der alten Regierung nach wie vor Stillstand verbunden wird. "Lähmung", wie der alte Vize- und neue Bundeskanzler ganz richtig bemerkte.

Die Grünen werden sich bei Gusenbauer herzlich bedanken, dass er der ÖVP die Türe so weit öffnet und Alexander Van der Bellen derweil im Regen warten lässt. Aber zu verlieren haben die Grünen durch eine solche Ansage nichts (abgesehen davon, dass im Wahlkampf noch Dutzende solcher und anderer Ansagen kommen werden).

Bei den Grünen stärkt die Aussicht auf eine mögliche rot-schwarze (oder gar schwarz-rote) Koalition jenen Flügel, der die Partei ohnedies als Oppositionsbewegung sieht und möchte, dass das auch so bleibt. Den Fans von Rot-Grün, die noch zwischen SPÖ und Grünen schwanken, mag Gusenbauers Wink eine Entscheidungshilfe sein.

Wer derzeit gar kein Angebot zu machen hat, ist die FPÖ. Ihr neuer Chef, Mathias Reich- hold, ist noch mit dem Aufräumen des Trümmerfeldes beschäftigt; außerdem kann er zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehen, ob er nächste Woche tatsächlich noch der Partei vorsteht. Seine Hürde ist in Klagenfurt errichtet. "Der Chef bin ich", hat er unlängst hinausposaunt - aber oft ist es so, dass der eigentliche Chef eben der andere ist. Auffällig ist schließlich, dass sich Jörg Haider, der ja auch ein Faible für Verkleidungen hat, seit kurzem gerne als "Häuptling" bezeichnet.

Reichhold glaubt man gerne, dass er alle Anstrengungen unternehmen wird, um das freiheitliche Boot doch noch flottzumachen und auf Kurs zu bringen. Wenn man ihn lässt. Wohin dieser Kurs führen wird, weiß der neue FP-Obmann wohl noch selbst nicht so genau. Auch wenn er gelegentlich auf den Tisch haut oder in der Nachfrage die Ansage verbal zuspitzt, ist er doch einer, der das Gespräch sucht und erst Verhandlungen führt, ehe er Ultimaten stellt.

Das ist in der FPÖ nicht unbedingt eine Empfehlung, an und für sich aber ein vernünftiger Weg - auch und gerade in der Politik. Sollte Haider tatsächlich Leine geben, wäre Reichhold eine Empfehlung für die ÖVP. Jedenfalls aus der Sicht von Wolfgang Schüssel, der offensichtlich viele kleine Zwischenstopps der (eigenen) "Lähmung" vorzieht. (DER STANDARD, Print vom 28.9.2002)