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Foto: APA/PA/John Giles
Es riecht nach Fish und Chips und Zuckerwatte. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Pommes frites ist angeblich der höchste der Welt. Auf der Seebrücke liest die Wahrsagerin Gypsy Petulengro aus der Hand, und über allem thront der Eiffelturm in Kopie. Blackpool gibt sich gar nicht die Mühe, modern zu erscheinen. Hier erholt sich der kleine Mann. Als sich die Labour-Partei unter Tony Blair zu New Labour wandelte, hat sie nicht nur dem Sozialismus, sondern auch Blackpool den Rücken gekehrt. Das Hacklerambiente passte nicht mehr zum neuen Chic, man hielt Kongresse lieber im vornehmeren Brighton ab. Jetzt geht es zurück zu den Wurzeln: Blackpool ist wieder Parteitagsort. Zumindest mit dieser Wahl besänftigt Blair seine Kritiker, die ihm Verrat an der Sache der Sozialdemokratie vorwerfen. Aber auch so wird die Debatte für den Premier hart genug. In normalen Zeiten sind die allherbstlichen Parteitage nur Routine. Jener, der am Sonntagabend begann, ist es nicht. In der Irak-Frage stößt Blair auf heftigen Widerstand in den eigenen Reihen: Der linke Flügel der Labour Party bildet die eigentliche Opposition gegen die Labour-Regierung. Während die Konservativen, die nominell auf den Oppositionsbänken sitzen, den Regierungschef in seinem verbalen Feldzug gegen Saddam Hussein vorbehaltlos unterstützen und die Liberaldemokraten ihn allenfalls milde kritisieren, stellen sich prominente Sozialdemokraten quer. Vergangene Woche, als das Unterhaus über die Irak-Politik abstimmte, bekam Blair einen Denkzettel verpasst: 53 Labour-Abgeordnete, ein Sechstel der Fraktion, votierten gegen den Kurs des eigenen Kabinetts. Es war seit Blairs erstem Wahlsieg 1997 die heftigste Rebellion der Hinterbänkler. Am Samstag marschierten etwa 200.000 Menschen zu einer Antikriegskundgebung in den Londoner Hyde Park. Die Labour-Linke nutzte die Bühne für die bisher schärfsten Töne gegen den einst als Retter bejubelten Strahlemann. Der "Kriegstreiber" Blair tanze wie eine Marionette an den Fäden von George W. Bush, wetterte der Schotte George Galloway, der sich guter Drähte zu Saddam Hussein rühmt. Tam Dalyell, Alterspräsident im Unterhaus, warf dem Premier vor, "wie ein Schlafwandler" auf eine Katastrophe zuzusteuern: Eine Invasion im Irak würde die Welt in die gefährlichste Krise seit dem Kuba-Konflikt von 1962 stürzen. Allein mit Außenseitern wie Galloway und Dalyell hätte Blair leichtes Spiel, und ohnehin glaubt niemand, dass die Götterdämmerung jetzt schon einsetzt. Das Unbehagen reicht jedoch bis weit in die Mitte seiner Partei. So warnt Clare Short, Ministerin für Entwicklungshilfe, vor einem Blutvergießen im Zweistromland: Die Zivilisten dort seien ebenso unschuldig wie jene dreitausend Menschen, die am 11. September 2001 im New Yorker World Trade Center saßen. Sehr beredt ist schließlich das Schweigen von Gordon Brown. Der Schatzkanzler, seit langem als Kronprinz gehandelt, kommentierte den Irak-Streit bislang mit keinem einzigen Wort. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.9.2002)