Graz - Ist es unfair, wenn man darauf hinweist, dass die Wiener Staatsoper ihre Saison mit Don Carlo eröffnet hat und die Grazer Oper nun mit demselben Werk dasselbe tat? Und man daher versucht ist zu vergleichen? Was umso leichter fällt, als beide Bühnen die italienische Letztfassung (1884) wählten. Zu sagen ist mit Sicherheit, dass sich Graz, was die Musik betrifft, vor Wien nicht zu verstecken braucht.

Die lautstarken Ovationen für den Chefdirigenten Philippe Jordan bestätigen, dass er Verdis Musik zum Ereignis werden ließ. Präsent in jedem Augenblick, gab er ihr weit gespannte Dynamik, Poesie und Akzente, Formverstand und Ausdrucksvielfalt. Und unter den Stimmen ragte der helle, auch in der Höhe warme Sopran von Tamar Iveri (als Elisabeth) konkurrenzlos heraus.

Und Schönklang verbreitete vor allem auch der Rodrigo von James Westman, der Don Carlo von Jorge Perdigon und die Eboli von Malgorzata Walewska, die die sarazenische Frivolität aber mit etwas zu schwerem Mezzo sang. Gut bei Stimme auch Andrea Silvestrelli, dem es als König Philipp aber etwas an Ausstrahlung mangelte.

Anders die Szene. Sie ist weniger anschaulich als in Wien. Der Bühnenbildner Hartmut Schörghofer hat als Motiv zwei etwas schräg gestellte metallische Röhren bauen lassen, die wohl die Säulen der Macht symbolisieren, der weltlichen und der kirchlichen, weshalb unter der einen, wenn sie gelüpft wird, der in ihr versteckte Großinquisitor sichtbar wird.

Die Inszenierung folgt weithin neuen Konventionen. Diese lassen sich in einem Kernsatz jetziger Regietheoreme zusammenfassen: Einem heutigen Publikum sind historische Sachverhalte nicht mehr zumutbar. Warum eigentlich? Deshalb bewegen sich die Personen in Gewändern neuen Zuschnitts; deshalb darf auch alles, was strenge spanische Hofetikette war, vergessen werden, darf Carlo Gymnastik betreiben, darf Rodrigo dem König den Mund zuhalten.

Manch überflüssiger Schnickschnack in der Personenführung des Regisseurs G. H. Seebach war aber vergessen, als statt des großen Tableaus im zweiten Akt, der Huldigungsszene und des Autodafés, filmische Sequenzen über die Bühne flimmerten: Alles, was in letzter Zeit an kriegerischer Aktion und Gräueln geschah, lässt Carlo sich durch den Kopf gehen; an sich starke Bilder. Um aber die handelnden Personen wieder einzuführen und im Medium zu bleiben, wurde im Foyer des Hauses ein Film gedreht:

Die flandrischen Deputierten breiten hier ihr Transparent aus, und hier nimmt Rodrigo dem Carlo die auf den König gerichtete Pistole ab. Vom Buch weicht auch ab, dass der einsame Philipp sein "Ella giammai m'amò" in Gegenwart der Eboli singt, womit gezeigt werden soll, dass sie seine Maitresse ist, dass sich Rodrigo im Gefängnis selbst erschießt und am Ende des letzten Klosterbildes auch die Liebenden tot auf den Boden liegen. Buhs für die Regie. (Manfred Blumauer/DER STANDARD, Printausgabe, 1.10.2002)