Es wird in diesen Wochen wohl nichts gründlicher gelesen und interpretiert als die jeweils letzte Rede, mit der Georg W. Bush die Marschrichtung gegen Saddam Hussein vorgibt. Entsprechend ausgefeilt und an vielerlei potenzielle Adressaten gerichtet war denn auch die jüngste Ansprache, mit der der US-Präsident vor allem die Argumente der Zweifler entkräften wollte. Den Beweis, die "Smoking Gun", die einen eindeutigen Konnex zwischen Bagdad und Al-Qa'ida herstellt, blieb Bush abermals schuldig, aber er machte auch klar, dass die Beibringung eines solchen Beweises nicht im Zentrum seines Interesses steht. Die Unschärfe im Verhältnis von Saddam Hussein zum Terrorismus wird die USA nicht daran hindern, gegebenenfalls auch militärisch gegen Bagdad vorzugehen.Zur Legitimation eines allfälligen Militärschlags, der laut Bush "weder unmittelbar bevorsteht noch unvermeidlich ist", bewegte er sich einmal mehr weit ins Land düsterer zukünftiger Möglichkeiten hinein, und er machte klar, wie schwierig es ist, auf diesem vagen Terrain eine triftige Argumentation zu errichten. Ob Saddam schon nahe an der Konstruktion einer Atombombe ist - das wisse man schlicht nicht, gestand Bush ein. Freilich bleibt der Fluchtpunkt jeder Argumentation der US-Regierung die Möglichkeit einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes, und nach dem 11. September bleibt ihr Willen, solchen Möglichkeiten mit allen Mitteln vorzubeugen, ungebrochen. Bush traf gewiss einen höchst empfindlichen Nerv, als er das Recht der Amerikaner ansprach, ein Leben ohne Furcht zu leben. Viele US-Bürger würden die dafür nötige Entschärfung potenzieller Gefahrenherde lieber nicht im Alleingang unternehmen, sondern im Rahmen internationaler Koalitionen, die aus Überzeugung dabei wären. Zur Erreichung dieses Ziels - wenn ihm denn daran liegt - hat Bush freilich noch ein ordentliches Stück rhetorischer Anstrengung vor sich. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.10.2002)