Von der Anatomie des Buchstabens bis hin zur aktuellen Praxis gefragter Schriftgestalter will eine Ausstellung im Wiener Künstlerhaus zeigen, was es so auf sich hat mit den Zeichen auf der Tastatur
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Man sollte eigentlich meinen, dass es mit Palatino, Minion, sämtlichen Arten von Helvetica, Insignia und wie sie alle heißen genug Schriftarten gebe. So gut wie jeder zeitgenössische PC ist ja schon eine Art Leistungsschau in Sachen Schrifttypen.
Weit über 10.000 lateinische Schriftarten gibt es, erzählt Martina Fineder, eine der drei KuratorInnen der Ausstellung "postscript – Tendenzen in der digitalen Schriftgestaltung", die gestern Abend im Wiener Künstlerhaus eröffnet wurde. Aber so genau könne man das gar nicht sagen, meint sie weiter. Sicher sei jedoch, dass die Nachfrage nach neuen Zeichen kontinuierlich steige und immer mehr Grafikdesigner auf die Kreationen spezialisierter Schriftgestalter zurückgreifen. Wieso? "Das hat mit Tendenzen zur Individualität zu tun."
"Jedes kleine Label will heute seine eigene Schrift", meint auch die Mitkuratorin Eva Christina Kraus, die die Ursachen dafür weniger in Corporate-Identity-Belangen sieht als in der Sehnsucht nach der eigenen "Handschrift". Schließlich raffte der Computer die eigentliche Handschrift als Kommunikationsmedium ziemlich rasch dahin.
Und der alltägliche E-Mail-Schriftverkehr ist ja in Sachen Schriftbild auch nicht gerade eine persönliche Angelegenheit. Dabei sind sogar digitalisierte Handschriften am Markt. Deren Erfolg ist aber nur recht mäßig. Wer will schon einen zumindest im Erscheinungsbild völlig cleanen Liebesbrief ohne verwischte Tränen.
Die Ausstellung im Künstlerhaus soll ein Bewusstsein für Schriften schaffen, ein Thema, über das man trotz täglicher Begegnung damit noch immer wenig weiß. Der korrekte Sammelbegriff für diese Disziplin ist übrigens Font-Design. Font steht für Zeichensatz, schließlich tummeln sich auf Tastaturen ja auch eine ganze Menge Ziffern und Sonderzeichen.
Die Schau soll ein Querschnitt durch die zeitgenössische typografische Produktion aus Österreich, Deutschland und der Schweiz sein. Zu sehen sind Arbeiten von Ecke Bonk, Büro Destruct, Markus Hanzer (DMC), Florian Ribisch (BüroX), Jürgen Huber (MetaDesign) und vielen Kreativen mehr. Man will Vielfalt zeigen, die, so Eva Christina Kraus, ebenso Moden unterliegt wie andere Disziplinen der Gestaltung.
Was zur Zeit so in Mode sei, kann sie nicht so einfach beantworten, "man will wieder saubere, lesbare Schriften, die Erscheinung soll nicht mehr so funky und technoid sein", meint die Kuratorin, die an der Universität für angewandte Kunst Industrial Design studiert hat. Wichtig sei heute vor allem die Identitätsfrage, denn sonst würden sich Unternehmen wie Siemens wohl kaum einen Stab von Schriftgestaltern halten, die sieben Jahre an neuen Buchstaben und Zeichen tüfteln.
Apropos CI: Schon Ludwig XIV beschäftigte einen ganzen Haufen Wissenschafter, die ihm eine auf bestimmte Gesichtspunkte ausgerichtete Schrift schneiderten. Das Historische wird in der Ausstellung aber eher am Rande behandelt. Anhand einer so genannten Time-Line kann sich der Besucher durch die stilistischen Entwicklungen klicken – vom phönizischen Stierkopf, einer Art erstem "A", bis zur 3D-Schrift. Im Vordergrund der Ausstellung stehen aber weder die Entwerfer, noch die Geschichte der Schrift.
Die Schau gilt der Form, also dem Buchstaben: m, n, o, h, g seien diesbezüglich besonders wichtige Zeichen, da sie über die markantesten Kurven verfügen. Bei neuen Schriftarten geht es nicht darum, das ganze System über den Haufen zu schmeißen, schließlich handelt es sich ja um einen internationalen Code, ein Mittel zur Informationsweitergabe. Und doch, so wünschen es sich die Macher der Schau, wäre es schön, wenn man die Buchstaben betrachten und nicht lesen würde, sich weiters die Frage stellt, wie schaut das Wort aus, denn die Bedeutung beeinflusst die Form. Ein gutes Beispiel dafür schuf der Gestalter Jürgen Huber von MetaDesign, als er den Begriff McDonalds ins klassische Schriftkleid von Nivea steckte.
Schrift wird also zum Identität-stiftenden Werkzeug. Ihre Macher sind die Typografen, sie schaffen diese Tools, mit denen Grafikdesigner arbeiten können. Die auf unserer Festplatte anzutreffenden, eingangs erwähnten Zeichensätze seien, so Eva Christina Kraus, kaum zeitgemäß. Sie sind halt im Software-Packerl enthalten, und mit diesem wurden auch die Rechte an deren Verwendung abgegolten.
Wer allerdings nicht auf seine eigene "Handschrift" verzichten will, der kann diese beim Typografen bestellen, zum Beispiel beim Schriftenmacher Lui Karner, der eigentlich aus dem Buchdruck kommt und im Waldviertel ganz wunderbare Schriften erfindet, wie etwa die Schrift "Rialto", die er gemeinsam mit Giovanni de Faccio im Jahre 1999 aufs Papier brachte. Dabei handelt es sich um eine italienische Renaissanceschrift mit stark kalligrafischem Einschlag, die aber definitiv das Zeug zum moderen Klassiker hat. Geschaffen wurde sie am Computer. Zu haben ist sie, wie erwähnt, bei Lui Karner, bei dem sogar schon das Rolling Stone Magazine ein Paket neue Schriften orderte. Zwischen 200 und 1500 Euro löhne man im Schnitt für eine neue Schrift, sagt Eva Christina Kraus.
Wer also daran denkt, sich eine neue Handschrift zuzulegen, sollte also auf jeden Fall ins Künstlerhaus aufbrechen, um Buchstaben zu schauen und zu hören, denn auch jede Menge Vorträge, Workshops und Exkursionen sind geplant.(Der Standard/rondo/11/10/2002)
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