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Ein Asylwerber in einer Notunterkunft des Roten Kreuzes

Foto: APA/Schlager
Woanders geht es noch strenger zu. Bei aller berechtigten oder unberechtigten Aufregung in Österreich über die laufende Verschärfung der Asylpolitik ist zumindest dies immer im Auge zu behalten. Die Frage, welche Flüchtlingspolitik die Österreicher für wünschenswert halten, ist von jener zu trennen, welche nach internationalem Recht zulässig und welche im europäischen Kontext notwendig ist. In diesem Dreieck von wünschenswerten, zulässigen und notwendigen Regeln muss sich das Land an der besonders migrationsintensiven Balkangrenze der EU am Ende der Debatte positionieren. Was wünschenswert ist, ist primär ein innenpolitisches Problem. Was zulässig ist, regelt primär die Genfer Flüchtlingskonvention: Hinter sie darf kein Staat zurückfallen. Was aber notwendig ist, bestimmt sich aus dem Rechtsvergleich mit den Staaten, mit denen Österreich einen Raum ohne Binnengrenzen und ohne Grenzkontrollen teilt. Denn es ist klar: Für Immigranten, die eine neue Heimat suchen, ist außer verwandtschaftlichen Banden vor allem eines für ihre Zielwahl entscheidend: die Situation, in der sie dort leben müssen. Über diese Situation sagt das EU-Recht bisher nicht viel. Zwar wurde jahrelang auf europäischer Ebene über eine gemeinsame Asyl- und Migrationsrechtsordnung debattiert. Doch seit den feierlichen Erklärungen der Staats- und Regierungschefs von Tampere 1999 haben sich Regierungen auf sehr wenig geeinigt. So ist unter anderem auch die Richtlinie über Mindeststandards für die Aufnahme von Asylbewerbern, auf die sich Flüchtlingsaktivisten in der aktuellen Debatte oft berufen, leider noch nicht geltendes Recht. Sie ist noch nicht einmal verabschiedet. Der Weg abgelehnter Asylbewerber soll nach den bisherigen EU-Plänen nur in eine Richtung einheitlich geregelt werden: nach draußen. Für den Zeitraum zwischen Ablehnung und Abschiebung gibt es keine europäischen Regelungsentwürfe - und es wird sie auch nicht geben. Österreich kann also im Prinzip selbst entscheiden, was es in der Zwischenzeit mit den Menschen macht. In der EU-Kommission heißt es nur, die Behandlung dürfe nicht schlechter sein als bei Vorbereitung der Abschiebung. Die EU-Kommission sieht auch inoffiziell die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung als vom geltenden und künftigen europäischen Rechtsrahmen erfasst. Dafür dass dieser nicht allzu migrantenfreundlich sein wird, hat vor der österreichischen schon längst die deutsche Bundesregierung gesorgt. Ein Blick nach Norden sollte auch etwas mehr Besonnenheit in die österreichische Debatte bringen. Dort erhält schließlich eine rot-grüne Regierung ein Asylrecht aufrecht, das ohne Nachsicht Listen sicherer Drittstaaten und sicherer Herkunftsstaaten aufführt. Wer von dort kommt, wird - zumindest theoretisch - rasch wieder abgeschoben. Die Deutschen haben mit dieser Methode ihre Asylbewerberzahlen massiv gesenkt - und Interessenten vielleicht auch in das bisher mildere Österreich umgelenkt. Wenn Innenminister Ernst Strasser nun eine EU-einheitliche Liste der sicheren Drittstaaten fordert, will er über die Brüsseler Bande spielen. Der vorliegende EU-Richtlinienentwurf für Asylverfahren überlässt die Aufstellung solcher Listen nämlich den Mitgliedsstaaten selbst. Strasser täte sich freilich mit einer österreichischen Liste schwer, denn er würde riskieren, dass ihm der Verfassungsgerichtshof einzelne Länder streicht. Ungeachtet dessen, ob Strasser und sein Kanzler Wolfgang Schüssel im laufenden Wahlkampf übertriebene Schärfe zeigen: Sie müssen bei ihrer Politik die Politik der EU-Partner mit einkalkulieren. Dass sie in der innenpolitischen Debatte die europäische Karte spielen und sich mit dem Hinweis auf noch strengere Staaten aus der Affäre ziehen wollen, ist also nicht nur geschickt, sondern auch nicht ganz ungerechtfertigt. Die Alternative wäre wohl nur, EU-Partner wie Deutschland wieder zu mehr Milde im Asylrecht zu bewegen. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.10.2002)