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Abbildung in einer thrakischen Gruft

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Das Thrakervolk ist nach den Indern das größte auf Erden", wußte der griechische Gelehrte Herodot zu berichten. "Wenn es nur einen Herrscher hätte und einig wäre, wäre es unbesiegbar und das mächtigste Volk auf Erden." Herodot hat recht behalten: Die Thraker, in zahlreiche Stämme zerfallen, wurden nie eine politische Macht, viel eher Opfer ihrer stärkeren Nachbarn. Ihre Geschichte ist die älteste Geschichte des Raumes, den wir heute Bulgarien nennen. Von der Kultur der Thraker zeugen die Kuppelgräber und die reichen Goldschätze, die Ausgrabungen ans Tageslicht gebracht haben. Das Thrakische, eine indogermanische Sprache, war längst tot, als nach den Stürmen der Hunnen und der Goten im 6. Jahrhundert slawische Stämme allerorts die Donau überschritten und sich in den dünn besiedelten Grenzgebieten des Byzantinischen Reichs niederließen. Vor allem zwei Stammesgruppen werden von den byzantinischen Geschichtsschreibern als die Neusiedler auf der Balkanhalbinsel erwähnt: die Slawinen zwischen der Donau und den Karpaten und die Anten östlich von ihnen. Die Slawen, in Großfamilien, Dorfgemeinden und Stämmen organisiert, brachten ihre alte Gesellschaftsordnung, die Sippengemeinschaft freier Ackerbauern, mit; wo sie hinkamen, wurden die antike Sklaverei und das Grundbesitzersystem, das das Ackerland an kleine Pächter (Kolonen) vergab, bedeutungslos. Die vorslawische Bevölkerung wurde allmählich assimiliert; nur in Rückzugsgebieten hielten sich Walachen - offenbar latinisierte Thraker - und westlich, bis hin zur adriatischen Küste, Albaner, die ihre Abstammung auf die alten Illyrer zurückführen. Die slawischen Stämme waren noch nicht in fest umrissenen Staaten organisiert. Zu Beginn des 7. Jahrhunderts kam es in Mösien (dem Gebiet zwischen Donau und Balkangebirge) und Makedonien zu einer Föderation von sieben slawischen Stämmen. Byzanz war nicht gewillt, die Herausbildung einer neuen staatlichen Gebildes an seinen Grenzen tatenlos hinzunehmen. Die Versuche des Kaiserreichs, das verlorene Terrain wiederzugewinnen, wurden für die Balkanslawen zunehmend bedrohlicher. Da erstand ihnen im Volk der Bulgaren eine geschichtsbildende Hilfe. Die Bulgaren - die Historiker nennen sie, um sie von den heutigen, slawischen Bulgaren zu unterscheiden, Ur-, Alt- oder Protobulgaren - waren einer jener Turkstämme, die im 2. Jahrhundert aus Zentralasien in den Raum zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer vorgedrungen waren. Zuerst in den Bund der Hunnen aufgenommen, zog ein Teil von ihnen dann mit den Awaren in die Theißebene. Der größere Teil des Volkes aber blieb noch zwischen Wolga und Schwarzmeerküste in einem Reich, das die byzantinischen Schriftsteller Magna Bulgaria (Großbulgarien) nannten. Um 660 drängten andere Reiterstämme aus dem Osten, die Chasaren, nach. Großbulgarien zerfiel. Ein Teil der Bulgaren zog unter Chan Asparuch um 670 nach Bessarabien und ließ sich an der Donaumündung nieder. Die Anführer der sieben slawischen Stämme sahen nun eine Chance, dem byzantinischen Anspruch auf Oberherrschaft und Tribut zu entrinnen. Sie schlossen mit Asparuch einen gegen Byzanz gerichteten Pakt. Eine byzantinische Strafexpedition 679/80 wurde abgewehrt, und nun setzte Asparuch zum Gegenschlag an. Als er 681 bis vor die Tore Konstantinopels vordrang, mußte Kaiser Konstantin IV. Pogonatos mit den wilden Bulgaren Frieden schließen. Er verpflichtete sich, ihnen einen jährlichen Tribut zu zahlen. Damit war der neue bulgarisch-slawische Staat (die Historiker sprechen von "Donaubulgarien") de jure anerkannt - das Jahr 681 wird als das Gründungsjahr Bulgariens betrachtet. Zahlenmäßig waren die Slawen in dem neuen Reich den Bulgaren weit überlegen. Aus der Symbiose, die sich zwischen den beiden Völkern in Abwehr des byzantinischen Machtstrebens gebildet hatte, erwuchs das bulgarische Volk. Anfangs waren die Slawen in der Hauptsache das Bauernvolk, die Bulgaren das Kriegervolk, und in deren Händen lag zunächst die Regierungsgewalt. Der altbulgarische Adel war die herrschende Kraft im Reich, und an seiner Spitze stand der Chan - Asparuch und seine Nachfolger. Er war der oberste Heerführer, er hatte die Verfügungsgewalt über die Kriegsbeute und die Tribute. Seinen Herrschersitz hatte Asparuch in Pliska - somit der ersten bulgarischen Hauptstadt. Bald stiegen auch slawische Stammesführer in den bulgarischen Adel auf, und vor allem erwiesen sich die Slawen durch ihre Frauen als die biologisch Überlegenen. Es begann die durchaus friedliche Assimilierung der Altbulgaren durch die slawische Mehrheit. So blieb von den Bulgaren schließlich nur der Name - schon im 9. Jahrhundert dürfte ihre turktatarische Sprache erloschen gewesen sein. Weder Slawen noch Bulgaren kamen in ein menschenleeres Land, sie konnten vielmehr auf den Errungenschaften und Traditionen des griechisch-römischen Provinziallebens aufbauen. Davon zeugen die Ausgrabungen in Pliska, einer Stadt, die sich über 23 Quadratkilometer erstreckte und mit einer Steinmauer und Wehrtürmen befestigt war. In der Außenstadt lebten Handwerker und Handelsleute, in der Innenstadt standen der "Große Palast" des Herrschers und diverse kleinere Steinbauten seines engsten Gefolges. Ein Kanalisations-und Wasserleitungsnetz sowie Warmluftheizanlagen bestätigen die Übernahme der antiken Zivilisation. Die ersten Inschriften, die über die Siege der Chane berichten, sind in griechischer Sprache gehalten; von der turktatarischen Herkunft der ursprünglichen bulgarischen Herrscher zeugen vor allem ihre Namen und vereinzelte Reste in der slawisch-bulgarischen Sprache. Von den ursprünglich griechisch verfassten Herrscherchroniken sind allerdings nur spätere slawische Übersetzungen erhalten. Interessant ist das Zyklensystem, das in den Herrscherlisten der altbulgarischen Chane aufscheint. Die Bulgarien hatten es aus Asien mitgebracht: Jeder Zyklus bestand aus zwölf Jahren, und jedes Jahr war nach einem Tier benannt (ein System, das die chinesische Astrologie bis heute aufbewahrt hat). Slawen wie Bulgaren waren zu dieser Zeit noch Heiden.(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20. 10. 2002)