Irak
"Militärische Macht als Instrument moralischer Vorherrschaft"
Andrian Kreye: US-Militäraktion gegen Irak entspricht langer Tradition der amerikanischen Politik- Bagdad "der Schlüssel zum Orient"
München/Wien - "Immer, wenn es keine direkte Bedrohung des
eigenen Territoriums gab, mussten die USA ihre militärische Macht als
Instrument der moralischen Vorherrschaft verkaufen - nicht nur der
Weltöffentlichkeit, sondern auch der eigenen Bevölkerung", schreibt
der deutsche Publizist und Politologe Andrian Kreye in der
"Süddeutschen Zeitung" (Samstag-Ausgabe). "Wenn George W. Bush
demnächst den Irak angreifen will, setzt er lediglich eine mehr als
hundertjährige Tradition der amerikanischen Politik fort. Befriedet
man den Irak, so die Logik, befriedet man die gesamte, für die
amerikanische Wirtschaft lebenswichtige Region." In Washington glaube man sogar, dass ein Wirtschaftswunder in
einem Nachkriegs-Irak "Vorbildcharakter" für die jungen Generationen
im Iran und Saudiarabiens haben könnte. Der ehemalige US-Diplomat und
CIA-Resident im Nahen Osten Reuel Marc Gerecht habe es so formuloert:
"Ein Einmarsch (im Irak) würde definitiv den Einfluss der Saudis
verringern und den Iranern einige Schwierigkeiten bereiten." Michael
Klare, Professor für Friedensforschung am Hampshire College und Autor
des Buchs "Rohstoffkriege", schreibt: "Die Regierung will nicht, dass
Öl Teil der Kriegsdebatte wird. Würden die wahren Gründe genannt,
dass hier Öl gesichert und die OPEC entmachtet werden soll, würde
dies viel zu eigennützig erscheinen..."
Kritik zwischen Moral und Realpolitik
Auch die Kritiker der USA hätten sich, so Kreye, "längst im
Widerspruch zwischen Moral und Realpolitik verheddert: So plädierten
schon bisher Russland, Frankreich und China im UN-Sicherheitsrat
nicht ohne Hintergedanken gegen die amerikanische Irak-Politik und
für eine Aufhebung des Embargos. Russland und Frankreich gehören im
Rahmen des Oil-for-Food-Programms zu den wichtigsten Handelspartnern
des Irak. Der französische Konzern TotalFinaElf spielt eine
entscheidende Rolle unter den Ölfirmen im Irak und hat sich längst
die Schürfrechte für die Ölfelder in Majnoon und Umar gesichert,
deren Reserven auf weit über zehn Milliarden Barrel geschätzt werden.
Alcatel baut derzeit Iraks Telefonnetz wieder auf. Peugeot hat
Nutzfahrzeuge für mehrstellige Millionensummen geliefert. Auch das
russische Ölkonsortium LukOil hat für die Zeit nach dem Embargo
Verträge über mehrere Milliarden Dollar für die Erschließung der
zerstörten Ölfelder in Kurna abgeschlossen. Die russische Firma
Slavneft hat sich die Bohrrechte für Tuba gesichert. Und dem
chinesischen Konzern 'China National', der bis zum Jahr 2020 bis zu
fünf Milliarden Barrel Öl vom Golf importieren will, wurde das
Rumailah-Ölfeld im Norden zugesprochen."
Ein amerikanischer Einmarsch wäre für die Europäer "auf keinen
Fall von Vorteil", meint Kreye. Schürfrechte, Handelsverträge und die
Schuldenlage müssten mit einer amerikanischen Militär- oder
Marionettenregierung neu geklärt werden, auch wenn sie
völkerrechtlich ihre Gültigkeit behielten. "Die USA sind sich dessen
sehr wohl bewusst, und haben Russland, China und Frankreich
inzwischen zugesichert, sie an den zu erwartenden Ölgeschäften zu
beteiligen..."
"Schon einmal war Bagdad das Fernziel geostrategischer Träume.
1903 beschloss Deutschland den Bau der Bagdadbahn, mit der man die
Strecke des Orientexpresses von Berlin bis an den Persischen Golf
ausdehnen wollte, wo der Kaiser (Wilhelm II.) für sein Volk im
ausgehenden Zeitalter des Kolonialismus einen letzten Platz an der
Sonne wähnte. Mit allen Mitteln bekämpften Russen, Franzosen und
Engländer das Projekt, das sie als Brückenkopf einer neuen deutschen
Expansionspolitik erkannten. Im Ersten Weltkrieg wurde das
Schienennetz zerstört. Schon damals war klar: Bagdad ist der
Schlüssel zum Orient." (APA)