Es sind hundert Schritte von Bozen nach Bolzano. Hundert Schritte auf der Brücke über den Talferfluss, der das deutsche Zentrum von den italienischen Vierteln um die Freiheitsstraße trennt. Hundert Schritte, die immer zum Siegesdenkmal am ehemaligen Friedensplatz führen. - Sieg und Frieden, nirgendwo geht das derzeit so wenig zusammen wie unter dem glasklaren Herbsthimmel Südtirols.Vor zwei Wochen haben die Bozner darüber abgestimmt, ob der Friedensplatz wieder seinen alten faschistischen Namen Siegesplatz tragen soll. 62 Prozent haben sich dafür ausgesprochen. - Die Deutschen waren für den Friedensplatz. Auf der anderen Talferseite haben die meisten für den Siegesplatz gestimmt. Seither gibt es in Südtirol wieder, was viele dort als lang schon vergangene Geschichte sehen wollten: einen offenen ethnischen Konflikt. Wenn Juve gewinnt "Es ist gut, dass der Platz hier wieder ,Piazza della Vittoria' heißt", sagt Marco, der seinen Roller beim Würstelstand am Siegesdenkmal abstellt. Den Burschen interessiert es nicht, dass das Ensemble großmannssüchtiger faschistischer Architektur, dass das Denkmal mit der Aufschrift "Hier an des Vaterlandes Grenzen haben wir die anderen an Sprache und Kultur veredelt" Symbol für eine unheilvolle Zeit ist. "Wir kommen hierher und feiern, wenn Italien oder die Juve gewonnen hat", erklärt er. Für den 82-jährigen Signore, der seinen Namen nicht in einer österreichischen Zeitung lesen will, liegt der Fall anders: "Ich bin schon als Kind im schwarzen Hemd hier am Siegesdenkmal gestanden, und ich will, dass der Platz so heißt, wie er immer hieß. Wir sind seit fast 100 Jahren hier, das müssen die Deutschen endlich begreifen", brüllt der Mann in der Bar Ciak hinter dem Denkmal. "Ein paar Spinner" Nur "ein paar Spinner" hängten jetzt Regenbogenfahnen mit der Aufschrift "Pace", Frieden, am Siegesplatz auf. Er sei in den 20er-Jahren mit seiner Familie aus dem Süden zugewandert. Bis zur Pensionierung habe er in einem Stahlwerk gearbeitet, das Mussolini in Bozen errichten ließ, in faschistischen Wohnbauten habe er erstmals ein ordentliches Dach über dem Kopf gehabt. "Für mich", sagt er, "hat der Faschismus nur Gutes gebracht." Geschichtsversessenheit und Geschichtsvergessenheit liegen in Bozen nicht weit auseinander - auch auf der anderen Seite der Talfer. "Me nè fregho, das ist mir egal", sagen einige deutsche Schüler, die aus der Stadtbibliothek in der Mustergasse kommen, über die "Siegesplatz-Sache". Hätten sie abstimmen können, wären sie nicht hingegangen. Ein Frieden müsse schon sein, gutes Zusammenleben auch, aber "zu viel darüber nachzudenken bringt ja nichts". Den Sieg neutralisieren Nur nicht Nachdenken. So fällt auch nicht weiter auf, dass es vielen (deutschen und rechten) Proponenten des Friedensplatzes eigentlich nicht um den Frieden, sondern vielmehr um die Neutralisierung des italienischen Sieges geht. - Kaum war das Ergebnis des Referendums bekannt, forderten der Schützenbund und Eva Klotz von der Union für Südtirol, man müsse das Siegesdenkmal schleifen. Die Rechtsausleger der Südtiroler Volkspartei (SVP) stimmten begeistert zu. SVP-Obmann Siegfried Brugger versucht indes den Deckel auf dem Druckkochtopf der aufbrodelnden ethnischen Auseinandersetzung zu halten. Die SVP, sagt er, habe stets gegen den Siegesplatz Stellung bezogen. Das Ergebnis des Referendums müsse man aber akzeptieren. Noch vor einer Woche dachte Brugger an "flankierende Maßnahmen", die der Umbenennung die Sprengkraft nehmen sollten. Die Postfaschisten haben sich aber nicht nur erfolgreich gegen erklärende Tafeln am Siegesplatz gewehrt. Inzwischen liegt im römischen Parlament auch ein Gesetzesvorschlag der Alleanza Nazionale vor, der faschistische Denkmäler in ganz Italien unter Schutz stellen soll. Brugger hofft dennoch, dass der Siegesplatz nächsten Herbst nicht Thema im Landtagswahlkampf wird. Aber dieser Wunsch, scheint es, ist hundert Schritte von der Südtiroler Realität entfernt.(DER STANDARD, Printausgabe, 21.10.2002)