Fritz Neumann

Wien - Es war ein Tag wie jeder andere. Mirna Jukic ist um halb Sieben aufgestanden, zur Schule gegangen (eigentlich gefahren), um 14.30 Uhr heim gekommen, hat gegessen, Aufgaben gemacht und gelernt, "die Emails gecheckt", dann ist sie zum Training in die Stadthalle gefahren, nachher wieder heim, Abendessen, Bettruhe um kurz nach Zehn. "Da bin ich dann eh schon völlig fertig."

Das Training - zwei Stunden lang eine Länge nach der anderen, im Trainings-Becken der Stadthalle, zwei bis drei Dutzend Schwimmer üben dort auf fünf 50-m-Bahnen, es herrscht ein ziemlicher Betrieb, nur Mirna hat eine, auf 25 Meter halbierte Bahn für sich. Der Raum ist vier Meter hoch, von einem Beckenrand ist's ein Meter, vom anderen Rand sind's drei Meter zur Wand. Die Wände sind weiß gekachelt, ab und zu mischt sich eine gelbe oder eine blaue Kachel darunter, Abwechslung muss sein. Zwei Neonlichtstreifen leuchten den Raum aus. Die Fenster sind klein und liegen derart hoch, dass man im Stehen nicht hinaus schauen kann, im Schwimmen schon gar nicht.

Mirna schwimmt und schwimmt und schwimmt - Delfin, Kraul, Brust, mal auf Zeit, mal die Technik betonend, mal extensiv, mit und ohne Flossen, auch nur Armtempi, dann wieder bloße Beinarbeit. Trainervater Zeljko sitzt am Beckenrand und stoppt mit, ab und zu steht er auf, begleitet Mirna und bessert sie aus. Zwischen den Einheiten bleibt kaum Zeit zum Verschnaufen, zufällig kommt Anja Richter vorbei, die Wasserspringerin, man plaudert kurz, dann sagt Mirna: "Sorry, ich muss wieder" und stößt sich ab.

Am Ende des Trainings, nach knapp zwei Stunden, hat Mirna Jukic sechs Kilometer zurück gelegt. "Die Zeit", sagt sie, "vergeht rasch, das Training ist abwechslungsreich. Ich schau' nur selten nach, wie spät es ist." Der Vater verlange Genauigkeit, lobe aber auch, sei insgesamt natürlich schon ein Besessener. "Er trainiert auch mit Kindern, ist viel länger als ich in der Halle." Zeljko Jukic bestätigt es: "Sicher vier Stunden am Tag, gesund ist das nicht. So viel Chlor in der Luft, ganz schlecht für die Augen."

Vor drei Jahren ist Zeljko, ein ehemaliger Basketballer, mit Mirna und ihrem um drei Jahre jüngeren Bruder Dinko aus Zagreb nach Wien übersiedelt. Zagreb war nur eine Zwischenstation auf der Reise, die in Mirnas Geburtsstadt Vukovar und des Kriegs wegen begonnen hatte. Vater und Tochter haben ein großes Ziel, die Olympischen Spiele 2004 in Athen. Mirna hofft, dass sie künftig nicht zu viele Termine wahrnehmen muss, dass nicht zu viele Journalisten etwas wissen, nicht zu viele Fotografen auf ihre Auslöser drücken wollen. "Von den Fotos und den Artikeln in der Zeitung werd' ich nicht besser. Besser werd' ich nur vom Training. Jemand, der acht Stunden arbeitet, lässt nach, wenn er nur noch sechs Stunden arbeitet. Meine Arbeit sind das Training und die Schule."

Am Mittwoch wird sie im Rahmen der "Nacht des Sports" im Salzburger Congress geehrt. "Kein Tag wie jeder andere", sagt Mirna Jukic.