Hans Mahr

Er ist ein Populist. Das stimmt. Ein gnadenloser Populist sogar. Dies hat Jörg Haider unter Beweis gestellt. Mit "Sagern", Plakaten und Reden gegen Ausländer, gegen Europa, gegen alles, was angeblich nicht zur alpenländischen Folklore passt.

"Populismus, der: volksnahe, oft demagogische Politik." So definiert der Duden, was offensichtlich Jörg Haider auszeichnet.

Mein Problem mit dem Populismus: Volksnah - das ist ja gar nicht schlecht. aber gibt's diese Volksnähe nicht auch mit ein bisserl weniger Demagogie in eine andere Richtung? Sozusagen als demokratischen Populismus ...

Ich glaube, so etwas gibt's, so etwas muss es sogar geben. Gerade jetzt, wo alle darauf warten, dass sich SPÖ und ÖVP wieder zu einer Koalition zusammenraufen. Denn wer es mit Haider aufnehmen will, der muss auch volksnah sein. Der muss "dem Volk aufs Maul schauen", wie es ein legendärer Populist, nämlich der Reformator Martin Luther, formuliert hat.

Ich hör sie schon kreischen und mit den Füßen trampeln, die Bedenkenträger dieser Republik. Sie meinen, die Menschen müssen an der Hand genommen werden, der Einzelne könne gar nicht überblicken, was wirklich gut tut. Gemeint sind natürlich die 1,2 Millionen "Verführten", die Haider gewählt haben.

Grundfalsch. Im Gegenteil, weil man viel zu lange das Volks nicht ernst genommenhat, hat sich so viel Frustration aufgestaut. Gerade weil Haider - im Unterschied zu anderen - oft das ausspricht, was die Menschen denken, haben ihn die Menschen auch gewählt. Wenn heute bei Schwarz und Rot an neuen Koalitionsmodellen gebastelt wird, dann muss eines klar sein: Es wird nur dann glücken, den unaufhaltsamen Aufstieg von Jörg Haider zu stoppen, wenn die folgende these akzeptiert wird:

These 1:

Wer wählt, schafft an.

Die Amerikaner erklären schon ihren Kindern, dass die Politiker für sie, die Bürger, arbeiten und nicht umgekehrt. Als US-Präsident Clinton in den Wahlkampf zog, formulierte er, dass er "jetzt seinen Boss treffen würde", nämlich die Wähler. "Das ist ein Arbeitsverhältnis. Ich bin ein Angestellter, die Amerikaner sind die Chefs."

Hierzulande wird dies allzuoft noch andersrum gesehen. Politisch umzusetzen, was die Menschen wollen, gilt heute in vielen Kreisen als Pfui-Politik. Und genau das spielt dem Populisten Haider in die Hände. Ob Ausländerfrage, ob Sozialversicherung, ob Ladenschluss, ob Kammerstaat, ob Bürokratie - gegen den Willen der Bürger wird keine Regierung lange im Amt bleiben.

Natürlich müssen Mittel und Wege gefunden werden, dass sich der Volkswille auch seinen Weg bahnen kann. Nicht ein Mal in vier Jahren, wenn sich der aufgestaute Frust entlädt, sondern von Fall zu Fall, wenn wichtige Entscheidungen anstehen. Daher:

These 2:

Statt Parteienzank - Volksentscheid!

Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer sich zum mündigen Bürger bekennt, muss ihn auch wichtige Fragen selbst entscheiden lassen. Volksbegehren, Volksabstimmungen, diese wichtigen Mitbestimmungselemente müssen endlich raus aus dem meist versperrten demokratischen Kasten. Warum, verdammt noch einmal, sollen die Parteien in endlosen Verhandlungen entscheiden, ob Österreich die Neutralität aufgibt und der Nato beitritt? Warum soll in einer biederen Kabinerttsrunde geklärt werden, ob die allgemeine Wehrpflicht noch sinnvoll ist? Warum sollen Kammerfunktionäre bestimmen, ob wir diese Kammern in Zukunft überhaupt noch brauchen?

Mehr Macht . . .

Warum nur, warum dürfen dies alles die Bürger nicht selbst entscheiden? Noch dazu, wo gerade die Österreicher bewiesen haben, dass sie bei Volksentscheiden vielleicht sogar ein bisschen weiser sind als die Politiker.

Erinnern wir uns doch: Als die Parteien 1989 auf eine Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf drängten, hat das Volk anders entschieden. Heute wissen wir: Das Volk hat klug gehandelt.

Als Jörg Haider 1994 mit seinem Ausländer-Volksbegehren die Stimmung aufheizen wollte, unterschrieben bloß 414.000 Menschen. Weil die Österreicher eben keine Fremdenhasser sind und auch einen Demagogen, wenn es notwendig ist, in die Schranken weisen.

Und als es schließlich um den Euro und Europa ging, zitterten SPÖ und ÖVP vor dem Urteil der Bürger. Zu Unrecht: Zwei Drittel entschieden sich für die EU, für den Mut zu Europa und gegen den Kleinmut der austriakischen Isolation.

Aber zur notwendigen, österreichischen Revolution gehört noch mehr:

These 3:

Statt Farbenlehre - Persönlichkeitswahl!

Natürlich ist nicht alles gut, was glänzt und aus Amerika kommt. Fußfesseln für einen 11-Jährigen und staatliches Verbot des Oralsex sind absurd. Aber die direkte Wahl von Personen vom Schulkomitee bis zum Präsidentenamt ist der Schlüssel der dynamischen und volksnahen Demokratie in den USA:

. . . den Bürgern!

Die hypertrophe Parteienlandschaft Österreichs dagegen ist ein Relikt des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Vertrauen schenkt man heute keiner anonymen Partei, Vertrauen gibt es nur für Personen aus Fleisch und Blut. Deshalb glaube ich fest daran: Nur eine dramatische Verstärkung der Persönlichkeitswahl `a la Amerika kann die Politikmüdigkeit bekämpfen. Die Bürger wollen ihren Gemeindevertreter, ihren Abgeordneten zum Landtag und zum Nationalrat, ihren Bürgermeister, ihren Landeshauptmann, vielleicht später sogar ihren Kanzler direkt wählen. Direkt und ohne Zwischenschaltung von Parteien und mächtigen Funktionärsbündnissen.

Wir brauchen Volksnähe mit ein bisserl Demagogie. Wer Haider verhindern und trotzdem regieren will, wird das Experiment "mehr Macht den Bürgern" wagen müssen. Es ist schließlich die Weiterentwicklung des Kreiskyschen Diktum: Mehr Demokratie wagen!

Wobei das Wagnis nicht gar so groß ist: Das Volk hat bewiesen, dass es zumindest so gescheit ist wie die, die es regieren wollen.

Hans Mahr, vormals Geschäftsführer der "Kronenzeitung", ist Chefredakteur des Privat-TV-Senders RTL in Köln.