Wien - "Der Druck auf Politiker vor Fernsehkonfrontationen ist irrsinnig gestiegen -
vor allem auf den Herausforderer." Das sagt Meinungsforscher Peter Ulram (Fessel-GfK) und verweist auf den
(auch am TV-Schirm) verlorenen Wahlkampf von Edmund
Stoiber in Deutschland. In Österreich haben frühere
schwarze Politiker ihre TV-Waterloos erlitten: Josef Taus
gegen Bruno Kreisky, Alois
Mock gegen Franz Vranitzky.
Mit Wolfgang Schüssel hat die
ÖVP erstmals jemanden, der
TV-Duelle nicht fürchtet. Im
Wahlkampf 1995 konnte er
sogar Medienkrampus Jörg
Haider in Schach halten. Sein
Spott über dessen umgefallenes "Taferl" entsorgte letztlich
diese blaue Mode.
Nicht nur das Taferl ist weg.
Generell verlaufen die diesjährigen Konfrontationen fast
ohne Accessoires. War doch
deren Überraschungseffekt zu
Beginn am größten: der des
Taferls genauso wie jener des
Tonbands, mit dem einst Heide Schmidt Jörg Haider eigene
Aussagen vorspielte und ihn
damit irritierte. Im Wahlkampf 1994 hat ORF-Informationsintendant Johannes Kunz
die Zweikämpfe, bei denen jeder gegen jeden in den Ring
steigt, erfunden. Schon im
Wahlkampf 1995 sahen laut einer Erhebung des Politologen Fritz Plasser nur 19 Prozent keine TV-Debatte.
1999, analysiert die Meinungsforscherin Imma Palme
(Ifes), ging die Bedeutung
leicht zurück - diesmal sei sie
aber wieder sehr hoch. Das
zeige sich auch an der Zuseherzahl: Fast eine Million verfolgen im Frühaufsteherland
die nächtlichen Rededuelle.
Viele Unentschlossene
Vor allem Unentschlossene
lassen sich beeinflussen. Wer
schon vorher von einem Kandidaten überzeugt ist, sieht
ihn fast immer als Gewinner
aus der Diskussion hervorgehen. Nach der Wahl 1999 haben 17 Prozent in einer Fessel-Studie angegeben, dass die
Fernsehauftritte entscheidend
dafür waren, wem sie ihre
Stimme gegeben haben.
Auch diesmal seien noch
ein Drittel der Wähler unentschlossen - und für TV-Debatten empfänglich, meint Palme:
"Entscheidend ist, wem es gelingt, die Unentschlossenen
anzusprechen. Derzeit
schwanken etwa viele Wähler
zwischen ÖVP und SPÖ."
Wobei, meint Palme, nicht nur
der TV-Auftritt an sich entscheidend sei: "Die Nachbetrachtung ist mindestens genauso wichtig - sowohl die in
den Printmedien als auch Gespräche im Kollegen- und
Freundeskreis. Da bildet sich
die Meinung, wer besser abgeschnitten hat."
Was die Zuseher übel nehmen: Stehsätze und Arroganz
gegenüber dem Gegner. Genau
geschaut wird auf Schlagkräftigkeit und ob einer seine
Themen rüberbringt. Letzteres habe Van der Bellen gegen
Schüssel nicht geschafft, sagt
Ulram, und Haupt habe sich
zu lange von Schüssel auf unangenehme Themen festnageln lassen. Dafür habe Haupt,
meint Palme, in seinen Auftritten sehr tapfer gewirkt -
"wie wenn Österreich gegen
Brasilien Fußball spielt und
weiß, dass es keine Chance
hat, aber trotzdem kämpft".
Gusenbauer hingegen sei es
gelungen, sein Image der Arroganz zu korrigieren.
Wichtig sei in Summe, was
"optisch-emotional" rüberkommt, sagt Ulram. Von den
inhaltlichen Botschaften blieben ohnehin nur "drei bis vier
Punkte" übrig. Einen Trost hat
er immerhin für TV-gestresste
Wahlkämpfer: Als Ausgleich
seien Reden vor Massenpublikum nicht mehr so wichtig.
Und gar nicht wichtig, ergänzt Palme, seien Plakate -
die "wirken höchstens auf die
eigenen Funktionäre. Aber
anscheinend müssen Plakate
trotzdem sein, weil keine Partei hinter der Konkurrenz zurückstehen will." (Eva Linsinger,
Martina Salomon/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.11.2002)