Wien - Leopold Friedrich Baron Popper von Podhragy muss eine schillernde Persönlichkeit gewesen sein. Er lebte zwar auf den Tag, aber nicht auf den Monat genau hundert Jahre. Vom 17. September 1886 bis zum 17. Jänner 1986. Seine Mutter, Blanche, war eine Marchesi, sein Vater Alexander ein großer Industrieller: Dessen Galizisch Bukovinische Holzgesellschaft lieferte das Material zum Bau des Suezkanals. 1916 heiratete Popper die Sängerin Maria Jeritza, die zur Primadonna der Staatsoper und, nach ihrer Emigration 1935, Star der Met in New York werden sollte. Nach Ende des Ersten Weltkrieges kämpfte er um Genehmigungen für Lebensmittelimporte und eine Anleihe des Völkerbundes. Und noch vor dem Einmarsch Hitlers soll er eine Untergrundbewegung ins Leben gerufen haben. Ihm, dem Halbjuden, wollte man daher wegen Hochverrat den Prozess machen. Zweimal wurde Popper von der Gestapo verhaftet und verhört. Doch ihm gelang die Flucht: Am 15. Juli 1939 reiste er mit einer Rückfahrkarte, um nicht aufzufallen, nach Paris. Und weiter nach London. Leopold Popper hatte zwei Brüder. Ihnen erging es kaum anders: Ernst kam ins KZ Dachau, nach seiner Freilassung floh er in die USA. Fritz überlebte, aber er verlor seine Wohnung, die er nach 1945 nicht zurückbekam, weil in ihr ein Universitätsinstitut eingerichtet worden war. Diesen drei Brüdern gehörte fast der halbe Schafberg - inklusive der Badeanstalt. Die Parzellen waren Bauland. Einen Zugriff auf ihr Vermögen hatten sie in der NS-Zeit aber nicht: Es wurde unter "Abwesenheitspflegschaft" gestellt bzw. von "Verfügungsbevollmächtigten" verwaltet, die alles andere als im Sinne der Eigentümer agierten. Einige Grundstücke fielen an das Dritte Reich oder wurden auf 20 Jahre verpachtet. Der Großteil wurde umgewidmet - in Grünland. Dies verfügte "der Herr Bürgermeister mit Entschließung vom 19. September 1939". In der Folge erwarb die Stadt die Liegenschaften. Äußerst günstig. Was selbst die Reichsfinanz in Berlin nicht goutiert haben soll. Nach dem Krieg erhielten die Brüder zwar die Grundstücke zurück. Als Grünland. Samt allen Schrebergärten und deren Pächtern. Sämtliche Versuche, den Zustand vor 1938 wiederherzustellen und die Wertminderung zu entschädigen, wurden von der Gemeinde Wien abgelehnt: "Durchaus auf Linie" "Die im Jahre 1939 durchgeführte Umwidmung der Baulandflächen ist zweifellos unter unglücklichen politischen Umständen erfolgt, sie liegt aber durchaus auf der Linie, die heute ebenso wie früher verfolgt werden muss." In dem Brief der Magistratsabteilung 18 vom 23. Juli 1964 wird zudem auf einen Gemeinderatsbeschluss vom November 1961 verwiesen, in der "diese Grundsätze" bestätigt wurden. Und das ist ziemlich bemerkenswert. Denn die Umwidmung erfolgte, weil dies der NS-Bürgermeister verfügt hatte. Und das konnte dieser nur nach NS-Recht. Anders ausgedrückt: Die Gemeinde übernahm die NS-Grundsätze und beschloss sie noch einmal. Der Rest ist rasch erzählt. Fritz Popper lebte unter ärmlichsten Verhältnissen. Da die Pacht nicht ausreichte, um die Abgaben zu decken, pfändete die Stadt Liegenschaften. 1953 wurde Fritz unter nie geklärten Umständen erschlagen. Leopold verkaufte seine Grundstücke sukzessive, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können, an die Schrebergärtner und die Stadt. 1966 wurde er gezwungen, seinen Gewerbeschein für den Betrieb des Schafbergbades und die dazugehörigen Liegenschaften an die Gemeinde zu verkaufen, da ein Gewerbebetrieb im Grünland nicht möglich, weil rechtswidrig sei. 1972, nach dem Ankauf des letzten Grundstückes, wurde ein Teil des Areals von der Gemeinde rückgewidmet: in Bauland und Gewerbegebiet. Eine heiße Kartoffel Die Erben sind der Ansicht, dass sich die Gemeinde durch die De-facto-Enteignung der drei Brüder in der NS-Zeit einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil verschafft hatte: Sie ersuchten sie um Wiedergutmachung. Doch die heiße Kartoffel wurde eifrig weitergereicht: Bürgermeister Michael Häupl (SP) teilte im Oktober 2001 mit, Werner Faymann mit der Angelegenheit betraut zu haben. Doch der Wohnbaustadtrat fühlte sich nicht zuständig. Daher wurde Kurt Scholz, der Restitutionsbeauftragte, eingeschaltet. Scholz kannte bereits den Fall: Mit den Erben hatte er seit dem Sommer 2001 Gespräche geführt. Wie der Wiener Anwalt Alfred J. Noll, der mittlerweile von den Erben mit der Rechtsberatung betraut worden war, wollte er eine "amikale Lösung" erzielen. Zumindest sagte Scholz dies - und stellte, wie Noll erklärt, am 15. April 2002 ein verbindliches Angebot binnen einer Woche in Aussicht. Zwei Monate später war dieses aber immer noch nicht eingetroffen. Auf einen vorwurfsvollen Brief antwortete im Juni weder der Bürgermeister noch die Rechtsabteilung: Die Stadt übertrug den Fall der Kanzlei Schönherr. Und diese erklärte, dass die Widmungsakte 1939, 1961 sowie 1972 "gesetzeskonform erfolgt" seien. "Die Stadt Wien vermag keinen rechtlichen (und darüber hinaus: auch keinen moralischen Grund) erkennen, der die behaupteten Ansprüche stützt; die Forderungen bestehen nicht zu Recht." Den Erben wurde nahe gelegt, die Stadt Wien zu klagen. Und das beabsichtigen sie auch zu tun. Noll beendete daher seine Vermittlungsversuche und gab den Fall ab - an seinen Kollegen Gerald M. Birnberg in Houston/Texas, der nun die Klage vorbereitet. Laut einem Gutachten beträgt der Schaden zumindest 45 Millionen Euro, wahrscheinlich sogar deren 70 Millionen. Bürgermeister Häupl war zu keiner Stellungnahme bereit. (Thomas Trenkler/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9./10.11.2002)