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Foto: Reuters/ DAMIR SAGOLJ
Als Elizabeth II im Juni ihr fünfzigstes Thronjubiläum feierte, sonnte sich die Monarchie noch in einem Stimmungshoch. Jetzt aber schlägt die Stunde des Butlers. Ein Blitz aus heiterem Himmel. Paul Burrell, einst Leibdiener von Prinzessin Diana, plaudert seit einer Woche im Londoner Daily Mirror aus dem königlichen Nähkästchen. Was sich zuerst wie eine typische belanglose Tratschserie las, droht die Royals auf einmal in den Strudel einer schweren Krise zu reißen: Haben die Windsors eine Vergewaltigungsaffäre vertuscht? Und wo ist die Mahagoni-Schatulle? In dem Kästchen bewahrte Diana Brisantes auf: böse Briefe des Prinzen Philip, der seine Schwiegertochter als Hure beschimpft haben soll, und ein Tonband mit der Aufschrift "Die Geständnisse von George Smith". Smith, heute 42, war eine Zeit lang der Kammerdiener von Dianas geschiedenem Ehemann Charles. Zweimal soll ihn ein enger Vertrauter des Kronprinzen vergewaltigt haben: 1989 nach dem Sonntagsbraten in London, wobei das Opfer angeblich volltrunken war, ein zweites Mal 1995, auf Ägypten-Reise, in der britischen Botschaft in Kairo. Heimlicher Mitschnitt Irgendwann hat Smith der "Prinzessin der Herzen" sein Herz ausgeschüttet und die schnitt das Gespräch heimlich mit. So erzählt es der Butler Burrell, nur ist das Beweisstück spurlos verschwunden. Nach Lady Di's Tod hatten Burrell und Dianas Schwester Sarah McCorquodale die mysteriöse Mahagoni-Schatulle entdeckt. Dann fand McCorquodale den Schlüssel nicht mehr. Polizisten mussten das Kästchen aufbrechen. Es war leer. Wo also ist das Tonband geblieben? Hat es die Queen in ihrem Safe weggeschlossen? Hält es Charles an einem geheimen Ort versteckt? Allein das öffentliche Rätselraten bringt die Royals in die Bredouille. Schon ist vom Watergate der Windsors die Rede. "Hat Charles wie einst Richard Nixon einen Skandal zu vertuschen versucht?", fragt der republikanisch gesinnte Guardian. Erfahrungsgemäß entpuppen sich solche Kommentare schnell als Übertreibungen, und spätestens beim nächsten rauschenden Fest ist die Regentin wieder obenauf. So war es 1992, in Elizabeths Annus horribilis. So war es 1997, obwohl die Stimmung nach Dianas tragischem Tod für kurze Zeit kippte. Weder 1992 noch 1997 hat eine Mehrheit der Briten die Monarchie infrage gestellt. Druck auf Charles Doch brenzlig kann es diesmal vor allem für Charles werden. Schon vor Jahren ließ Charles die Vergewaltigungsvorwürfe intern untersuchen und danach erklären, nichts davon sei wahr. Nun aber behauptet der Butler das genaue Gegenteil, immer lauter wird der Ruf, Scotland Yard solle nach dem Tonband suchen. Auf Druck der Queen hat Charles Dienstag seinen Privatsekretär, Sir Michael Peat, mit der Untersuchung der Affäre beauftragt. Peat verteidigte aber bereits Dienstagabend die Royals im Fernsehen. Falls die Kassette gefunden wird und falls stimmt, was Burrell erzählt, steht der König in spe als Lügner da. Dann wäre auch klar, warum der Diebstahlprozess gegen Paul Burrell Anfang November abrupt abgebrochen wurde - in dem Moment, als die Königin beteuerte, der Mann sei kein Langfinger. Hatten die Royals Angst vor den Aussagen des Leibdieners? Tickte eine Zeitbombe im Gerichtssaal? Burrell bereut "kein einziges Wort" seiner Exklusivstory. Um Geld, schwört er scheinheilig, sei es ihm nie gegangen, nur "um die Wahrheit und die Gerechtigkeit". (Frank Herrmann aus London, DER STANDARD Printausgabe 13.11.2002)