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reuters/grossruck

Aldrans – 4. Dezember 1999: Beim „Air & Style Contest“ im Innsbrucker Bergisel-Stadion bricht eine Massenpanik aus. Fünf Mädchen sterben. 38 Personen werden zum Teil schwer verletzt. Fünf junge Menschen werden zu Pflegefällen, die noch immer auf materielle Absicherung hoffen. Es gibt eine Schuld von Stadt und Land, urteilte das Zivilgericht am vergangenen Montag. Berufung wurde angekündigt.

Vor laufender Fernsehkamera versprachen Tirols Landeshauptmann Wendelin Weingartner und der Innsbrucker Bürgermeister Herwig van Staa nach dem Unglück, den Familien der Betroffenen zu helfen. Sofort. Drei Jahre danach blieb den Familien nur der Weg vors Gericht.

„Wir kämpfen für unsere Kinder und geben nicht auf!“, versichert Klaus Eberharter, dessen Tochter Petra seit dem Unglück rund um die Uhr betreut werden muss. Den Besuch Weingartners in Petras Wohnort Aldrans ein Jahr nach dem Unfall empfand die Familie als „Hohn“.

„Ich bin total enttäuscht von unseren Spitzenpolitikern!“, macht Eberharter seinem Ärger Luft. Dabei wandte er sich am Anfang an jede maßgebliche Behörde. „Wir hätten wirklich Wichtigeres zu tun, als ums Geld zu streiten, doch wir sind es Petra schuldig. Was wird aus ihr, wenn wir sie nicht mehr pflegen können?“

Mit „schwerstbehindert“ oder „an den Rollstuhl gefesselt“ wird Petras Zustand beschrieben. Was das tatsächlich bedeutet, drücken diese Worte nicht aus. Die Ärzte nennen es hypoxisch apallisches Syndrom. Wachkoma. Inmitten einer Menschenmasse, die beim westlichen Stadionausgang in Panik geraten war, wäre Petra beinahe erstickt. Freunde berichteten den Eltern, dass der Notarzt Petras Wiederbelebung bereits mit den Worten „es ist vorbei“ aufgegeben hatte.

Auf Drängen eines Medizinstudenten habe er sich dann doch entschlossen, noch einen Elektroschock zu setzen. Dieser und die moderne Medizin samt Herz-Lungen-Maschine hinderten Petra, 27, schließlich am Sterben.

Der Vater fragte sich, warum seine Tochter nicht für immer die Augen zumachen durfte. „Am nächsten Tag sind wir ins Bergisel-Stadion gegangen, um zu begreifen, was passiert war“, erinnert sich die Mutter Dora Eberharter. „Wir waren völlig fertig. Doch wir wussten, dass wir zusammenhalten müssen. Von da an haben wir mit Petra gemeinsam gekämpft, sonst wäre sie auch nicht dort, wo sie heute ist.“ Entgegen aller Prognosen konnte Petra nach einem Jahr wieder nach Hause.

Spricht man Petra an, reagiert sie kaum. Es scheint, als sei sie in ihrem spastischen Körper und ihrer Angst gefangen. Keiner weiß, welche Bereiche des Gehirns durch den Sauerstoffmangel geschädigt wurden. Immer wieder weint sie und ihr verzweifelter Gesichtsausdruck lässt vermuten, dass sie das Erlebte nicht loslässt.

„Riesenschritte“

Die Familie freut sich über die „Riesenschritte“, die ihr Kind in den vergangenen Wochen gemacht hat. Der Schluckreflex hat wieder eingesetzt. Seit kurzem kann Petra wieder Brei essen. Was bedeutet, dass sie nicht mehr ausschließlich mit einer Sonde durch die Bauchdecke mit Flüssignahrung versorgt werden muß. Petra wiegt 37 Kilo.

Weitere „Riesenschritte“: Petra kann für Momente ihren Kopf frei halten, sie beginnt „durchzuschlafen“. Für die Familie bedeutet das, „nur noch“ fünfmal aufzustehen, das Mädchen umzudrehen, zu wickeln, zu trösten. Abends wüten Petras Ängste am schlimmsten. „Auch wenn es absurd klingt, die Kraft für die Pflege bekommen wir von Petra“, sagt die Mutter. Die Familie verkaufte ihr Haus und baute 500 Meter weiter ein behindertengerechtes. Zwei Linzer Architekten planten ohne Honorar.

Dass die Familie Eberharter Hilfe benötigt, das erkannten auch die Bewohner des Ortes. Walter Rier, Nachbar und Musiker der „Tiroler Adler“, initiierte im August 2000 eine Benefizveranstaltung. „Ganz Tirol ist aufgewacht und hat gespendet“, ist Klaus Eberharter noch immer überwältigt. Böse Zungen meinten, das Geld fließe in den Hausbau. Die Familie setzte deshalb den Bürgermeister als Verwalter des Spendenkontos ein.

Diese Spenden haben es Petra ermöglicht, an einer Delfin-Therapie in Florida teilzunehmen. „Es hat viel gebracht. Doch ein Wunder ist nicht geschehen“, sagt die Mutter. (Gerda Fuchs/DER STANDARD, Printausgabe, 13.11.2002)