Burkhard Müller-Ullrich

Seitdem es diese kleinen blauen Pillen mit dem geriatrisch klingenden Namen gibt, hat die eine Hälfte der Menschheit wieder ein Thema: nämlich wie man bis zum Schluss zum Schuss kommt, oder, weniger vulgär gesprochen, wie neben sonstigen das männliche Geschlechtsorgan betreffenden Verlängerungsmaßnahmen dessen Funktionalität zeitlich verlängert werden kann.

Aber die medikamentöse Perpetuierung jugendlicher Zeugungskraft stellt bekanntlich eine Riesenungerechtigkeit dar, denn für die andere Hälfte der Menschheit gibt es kein Viagra, sondern bloß unerbittliche Deadlines.

Deswegen wird Cherie Blair, die Frau des britischen Premierministers, jetzt nicht nur im Vereinigten Königreich als Heldin gefeiert: Mit 45 sich noch einmal schwängern zu lassen - das ist ein mutiger Akt des Widerstands gegen die Uhr der Natur. So wird die Schwangerschaft der First Lady unweigerlich zum Politikum. Doch auch und erst recht wegen Tony bekommt diese Schwangerschaft eine historische Dimension. Er ist der erste englische Premierminister seit 150 Jahren, der im Amt ein Kind zuwege bringt, verkündete der Pressesprecher von Downing Street 10 (welches Haus für die vergrößerte Familie nun zu klein wird). Verlässliche Vergleichsdaten auf europäischer Ebene sind noch nicht ausrecherchiert, aber schon jetzt zeichnet sich weitherum ein erstaunlicher Amtskindermangel bei Staats-und Regierungschefs ab.

Erstaunlich, weil die Zeugungsfähigkeit doch zu den definitiven Machterlebnissen des Mannes zählt. Auf das lateinische Wort "potestas" gehen sexuelle Potenz und politische Macht gleichermaßen zurück. In früheren Zeiten waren die Herrschenden auch die am meisten Zeugenden.

Von dieser Gleichung hat sich dem modernen Mann zwar in trüben anthropologischen Tiefenschichten noch ein schwummriges Gefühl erhalten, aber das wird schwerlich zum öffentlichen Thema. Außer so einer wie Tony reißt den Horizont auf. Mit der ihm eigenen hedonistischen Direktheit führt er der Welt die Gültigkeit einer durch Epochen vergreisten Regententums in Vergessenheit geratenen Tatsache vor: Macht ist geil und macht geil. Und: Weit mächtiger als mancher Heros/ War ehedem der kleine Eros. (Eugen Roth: "Die Frau in der Weltgeschichte")
Burkhard M.-Ullrich ist Kulturchef beim Deutschlandfunk.