In Wahlkampfzeiten wühlen die Politiker besonders tief in der Trickkiste der Kommunikation: über emsige Punktesammler im verbalen Boxkampf, Paranoiker-Argumente, und was asiatische Kampfkunst damit zu tun hat
Redaktion
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Was willst du am Ende darauf antworten?
Ich warte auf eine Probe deiner Redekunst.
Ob du mir hierauf eine Antwort gibst, oder
ob du es überhaupt wagst, den Mund
aufzumachen? Wirst du in meiner langen
Rede überhaupt einen Punkt finden, wo du mit
gutem Gewissen einhaken kannst? (Cicero)
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"Proben der Redekunst", wie sie der große Redner Cicero (146 v. Chr.) in seiner Zweiten Philippischen Rede von seinem Widersacher Antonius einforderte, gibt es im Wahlkampf zuhauf. Geprobte und improvisierte. Gelungene und weniger gelungene. Kunstvolle und weniger kunstvolle. Es gilt - unabhängig von Publikum und Auftrittsort - Punkte zu machen und quasi nebenher die politische Botschaft an die Wähler zu vermitteln. Dabei greifen die Wahlkämpfer tief in die Trickkiste der Kommunikation. Erlaubt ist, was Aufmerksamkeit bringt.
Kommunikation als Kammerspiel
Vor allem die Fernsehkonfrontationen entwickeln sich in modernen Tele-Demokratien zu den wichtigsten Arenen für den Wahlkampf. Nirgendwo sonst können so viele Wählerinnen und Wähler angesprochen werden - entsprechend aufgerüstet gehen die Kandidaten das mediale Wortgefecht an. Nachgerade als "Kammerspiel" werde die Kunst der politischen Kommunikation im Studio inszeniert, sagt der Salzburger Uniprofessor und Leiter der Arbeitsgruppe Rhetorik, Lothar Kolmer. Das Mitglied der österreichischen Sektion des Verbandes der Reden- schreiber deutscher Sprache analysiert zurzeit mit seinen Kollegen vier exemplarische Wahlkampfreden der jeweiligen Spitzenkandidaten, die demnächst benotet werden.
Eine "gute Wahlkampfrede" mache das aus, was eine gute Rede an sich ausmache, erklärt Kolmer: "Sie informiert, bringt im Idealfall die vom Redner gewünschte Intention dem Publikum so gut wie möglich nahe und hat Unterhaltungswert." Wobei TV-Debatten "etwas schwieriger" seien als allgemeine Wahlkampfreden, da sehr unterschiedliches Publikum angesprochen werden muss und durch die medial vermittelte Situation das Augenmerk stärker auf die persönliche Inszenierung gelenkt wird. Entsprechend bunt sind die kommunikationstechnische "Trickkiste" und das Handgepäck an verbalen "Kriegsszenarien" für die medialen Face-to-Face-Debatten.
Knockout im politischen Ring
"Die Trickkiste wurde bis jetzt von allen heftig genutzt", meint Kolmer. Vor allem die Performance von Titelverteidiger Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sei besonders trickreich gewesen. Der Kanzler agiere sehr offensiv und inszeniere eine Art "Boxkampf", bei dem es primär um "Punktemachen und Knockout" gehe. Die Crux: "Probleme kommen dabei eher nicht zur Diskussion", analysiert Sprachwissenschafterin Ruth Wodak von der Uni Wien.
Als wirksame Gegenstrategie zu einem sehr offensiv agierenden Visavis empfiehlt Rhetorikexperte Kolmer "asiatische Techniken der Kampfkunst. Man müsste mit Judo- oder Aikido-Strategien reingehen, die Angriffswucht und den Schwung des Gegenspielers nutzen, um das Thema zu drehen und mit einem eigenen Thema zu kontern." Mit einem "dialogischen Ansatz", den Grünen-Chef Alexander Van der Bellen praktiziere, sei einem Offensivredner indes kaum beizukommen.
Praktiziert würden alle klassischen Rhetoriktechniken: "Davonlaufen", wie es etwa FP-Chef Herbert Haupt vorexerziert habe, wenn er mehr oder weniger elegant auf ein anderes Thema umgeschwenkt sei. "Bei Konservativen sehr beliebt" sei das "slippery slope" (Argument der schiefen Ebene) oder "Paranoiker-Argument" nach dem Motto: Wer als 18-Jähriger ein halbes Bier trinkt, ist mit 25 sicher Alkoholiker. Adaptierte Variante im aktuellen Wahlkampf: Haschisch-Debatte. Das "Anziehen von Autoritätsargumenten" beobachtete Kolmer bei SP-Chef Alfred Gusenbauer, der gern auf "meine Kindheit in Ybbs" rekurriere. "Sich selber aufwerten oder den anderen abwerten" exerzierte Schüssel, als er ein Argument seines Gegenparts "als Ihrer nicht würdig" befand. "Ein guter Trick", so Kolmer, seien "Köhlerargumente, mit denen das ,einfache, unverbildete Volk' die Wahrheit" sagt.
Als weitere Gesprächsstrategien nennt Wodak "unterbrechen, nicht antworten, überfordern". Eine klassische Überforderungsstrategie war die, als der Kanzler Van der Bellen eine ganze Liste an "Das kommt, wenn Rot-Grün
kommt"-Versatzstücken zum Abarbeiten vorlegte. Wirksame Gegenstrategie: Spieß umdrehen und sagen: "Ein Thema war gefragt, nicht zehn. Können wir uns auf eines einigen?" Wodak sieht grundsätzliche Unterschiede in den Kommunikationsdirektiven: Wo die ÖVP kaum Programmansagen macht - "Ausnahme ist das EU-Bekenntnis" - und die FPÖ bemüht ist, "die Koalitionstür nicht ganz zuschnappen zu lassen", wahlkämpfen SPÖ und Grüne viel stärker programmatisch mit "Argumenten für eine Wende der Wende". (DERSTANDARD, Printausgabe, 14.11.2002)
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