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Der gebürtige Australier James D. Wolfensohn leitet seit 1995 die Weltbank, die größte Entwicklungsbank der Welt. Am Freitag erhielt er in Wien den Schumpeter-Preis.

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S TANDARD: Kritiker sehen die Weltbank als Teil eines globalen Systems, das die ärmsten Länder ausbeutet. Was ist an dieser Meinung dran? Wolfensohn: Ich habe 10.000 Mitarbeiter aus 140 Ländern, und wir wachen nicht jeden Morgen mit dem Gedanken auf, wie wir das Leben der Armen verschlechtern und Länder in den Ruin treiben können. Ich verwehre mich gegen diese moralische Überheblichkeit. Die Kritiker sollten sich anschauen, was wir wirklich machen: Wir sind der weltweit wichtigste Faktor in Bildung, im Gesundheitswesen, im Umweltschutz und bei Frauenrechten. Wir sorgen uns genau um jene Probleme, die die Kritiker beklagen. S TANDARD: Aber Sie verfechten auch den Freihandel und die Liberalisierung der Kapitalmärkte, für die Globalisierungsgegner ein Hauptübel. Wolfensohn: Es ist unsinnig zu behaupten, dass die Öffnung der Märkte und Handel den Armen schadet. Ich kämpfe seit Jahren gegen die Agrarsubventionen in den Industriestaaten, die die Entwicklungsländer hindert, das zu verkaufen, was sie am besten können. Es stimmt, man soll Entwicklungsländer nicht zwingen, ihre eigenen Märkte zu öffnen, wenn sie kein "quid pro quo" erhalten. Man kann die einen nicht nackt dastehen lassen und den anderen erlauben, ihre Landwirtschaft jährlich mit 350 Milliarden Dollar zu fördern, während sie nur 50 Milliarden Dollar für Entwicklungshilfe ausgeben. Etwa Baumwolle: Selbst mit niedrigsten Produktionskosten können Entwicklungsländer nicht mit den hoch subventionierten Baumwollplantagen in den USA konkurrieren. In Europa gilt das Gleiche für Getreide. Die Kürzung von Agrarsubventionen wäre der allerbeste Weg, um armen Ländern zu helfen. S TANDARD: Wie stehen dafür die Aussichten? Wolfensohn: Die jüngsten Entwicklungen in der EU und den USA sind nicht gut, aber die Verhandler in der Welthandelsorganisation lassen keinen Zweifel daran, dass sie die Förderungen und Zölle senken wollen. Jetzt müssen sie es nur umsetzen. S TANDARD: Laut manchen Studien versickert die Entwicklungshilfe meist wirkungslos und fördert nur die Korruption. >Wolfensohn: Das trifft für manche Länder zu, aber nicht für andere. Ich würde nie behaupten, dass kein Cent verschwendet, verloren oder gestohlen wird, aber das gilt auch für die Industrieländer. Korruption ist ein Krebsgeschwür, aber ein organisches. Um es zu bekämpfen, muss das System und das Verhalten der Menschen verändert werden. Dafür braucht man Beamte mit Ethik, und das entsteht erst langsam mit einer reiferen Gesellschaft und höheren Gehältern. Bis dahin ist es nicht fair, den Ländern den Rücken zuzukehren - vor allem, wenn viele westliche Konzerne selbst bestechen. S TANDARD: Kritiker behaupten auch, dass die Weltbank unter Ihnen zu viele Ziele gleichzeitig verfolgt, statt sich auf Kernaufgaben zu konzentrieren. Wolfensohn: Es wäre leicht zu sagen, dass wir uns fünf Jahre lang nur der Bildung widmen und später nur Straßen bauen. Aber die Welt funktioniert nicht so. Alles ist miteinander verbunden. Wir sind der praktische Arzt, der den ganzen Körper untersucht und die Diagnose stellt. Für die Heilung gibt es Spezialisten, aber man braucht eine Institution, die den gesamten Entwicklungsprozess versteht. S TANDARD: Bei der UNO-Entwicklungskonferenz in Monterrey wurde mehr Hilfe zugesagt, auch von den USA. Werden die Versprechen eingehalten? Wolfensohn: Die Zusagen laufen über vier Jahre, aber wir sehen bereits Resultate. Österreich hat sich verpflichtet, seine Ausgaben in sechs Jahren von 0,23 auf 0,35 Prozent zu steigern. Heuer werden bereits 0,29 Prozent erreicht. S TANDARD: Wie geht es dem Schuldenerlass für die ärmsten Länder (HIPC)? Da fließt das Geld doch sehr langsam. Wolfensohn: Schauen wir uns die Fakten an. 40 Milliarden Dollar wurden bereits erlassen. In den 26 Ländern, die davon profitiert haben, wurden Schuldenberge und Zinszahlungen um jeweils zwei Drittel reduziert. Das ändert deren gesamte wirtschaftliche Lage, und die Länder haben sich verpflichtet, die Einsparungen für Soziales, Bildung und Gesundheit zu verwenden. Sechs weitere Länder sind bald dran, das macht dann 32. Als Miterfinder dieses Programms bin ich zufrieden. Kritik sollte sich an die Regierungen richten, die nicht bereit sind, über die 40 Milliarden Dollar hinauszugehen. S TANDARD: Sie führen den Terror vom 11. September auch auf Armut zurück. Kann Entwicklungshilfe helfen, den Zorn in der islamischen Welt auf den Westen zu dämpfen? Wolfensohn: Armut führt nicht automatisch in den Terrorismus. Die meisten Armen denken nicht daran, Gebäude in die Luft zu jagen, sondern wollen ihre Familien ernähren. Aber es gibt keinen Zweifel, dass Terroristen in armen Ländern wie Afghanistan mehr Bewegungsraum haben. Entwicklungshilfe nützt dann etwas gegen den Terror, wenn man die Menschen das Fischen lehrt und ihnen nicht nur einen Fisch gibt. Als die Menschen im Gazastreifen und dem Westjordanland durch die israelischen Absperrungen ihre Arbeitsplätze verloren, haben sie auch die Hoffnung verloren. Arbeit zu haben erfüllt jeden Araber, jeden Juden und jeden anderen Menschen. Das ist die Chance für Entwicklungshilfe. (DER STANDARD, Printausgabe 18.11.2002)