Mit Künstlern aus Australien, Israel oder Kroatien zimmern die beiden Schauspielhaus-Intendanten Airan Berg und Barrie Kosky in der Wiener Porzellangasse an einer Art Probierstube multikultureller Zusammenarbeit. Ein spätherbstlicher Lokalaugenschein.

Wien - Zu Hans Gratzers Zeiten, als sich das Schauspielhaus in der Porzellangasse in einer süßleidigen Mischung aus Ehrgeiz, Trotz und Liebessehnsucht als erstes Wiener Uraufführungstheater verstand, wanderte der Blick des Besuchers im Foyer über einen weiß getünchten Raum, folgte einer gusseisernen Brüstung,und blieb schließlich an den Klosetttüren hängen: kein stilvolles Entree. Heute, in der mittlerweile zweiten Spielzeit der Kointendanten Airan Berg und Barrie Kosky, glänzt das runderneuerte Haus in einer gestockten Blutfarbe; an der Decke schimmern die Schuppen einer fotografisch verfremdeten Schlangenhaut. An den Wänden glänzt, in Glaskästen gefasst, die Abbildung eines rosigen Schafspelzes. Das Design atmet, bei aller sinnfälligen Schönheit im Detail, die Atmosphäre einer niedersächsischen Erotikmesse.

Dafür wurde in dem nebenan gelegenen Gassenlokal eine Gastwirtschaft hineingezaubert, die bei anregendem Schummerlicht zum Verzehr garantiert wertvoller Nahrungsmittel anregen soll.
Im Keller der für gutes Geld herausgeputzten Institution steht, in einen langen Korridor aus Holzlatten gepfercht, jeden Abend ein langmähniges, silbengurgelndes Wesen, das zwar auf den Namen "Mac- beth" hört, aber, wie die anderen Thans und Clanchefs alle, eine zarte Frau ist.

Die schlackenschwarze Inszenierung des Australiers Kosky illustriert in ihren kaum fünf Viertelstunden allerlei schwierige Gedankengänge, die einem beim Einkürzen von Shakespeares düster-grauem Stoff so in den Sinn kommen: Macbeths Ehe mit der schauerlichen Lady ist kinderlos geblieben. Erst im Niederstrecken des ungeschlechtlichen, sakralen Leibs von König Duncan (Susi Stach) erfährt dieser Macbeth sich als Mann. Also muss er mit dem Dolch zustechen, weil ihm die geschlechtliche Form der Penetration verwehrt bleibt.

Hingegen masturbieren die weissagenden Hexen fröhlich um die Wette, was wohl auf eine Sexualität verweist, die sich um den reproduktiven Zweck der Fortpflanzungsaktivitäten nicht schert. Oder das alles bedeutet etwas anderes, und der Zuschauer soll nur die Fremdheit kultureller Narrative verspüren. Egal.
Denn von den beiden Intendanten bekommt man das entzückendste Schulterzucken hinterhergeschickt: "Wir nehmen das Publikum auf eine Reise mit", erklärt Berg, wie sein australischer Kompagnon ein freundlicher Mittdreißiger, der nach verheißungsvollem Beginn als Regisseur dem Stadttheatersystem den Rücken kehrte und im Fernen Osten an geschnitzten Handpuppen Gefallen fand.


Lockerer Reigen

Regisseur Barrie Kosky ist in seiner australischen Heimat, wie erzählt wird, sehr bekannt. Heimlich, still und leise haben die beiden das Schauspielhaus komplett umgemodelt; in einer lockeren, nicht gerade dicht gedrängten Folge von Premieren, Lesungen und One-Man-Shows gewöhnt man die schwerfälligen Wiener an den würzigen Duft der weiten Welt.
"Für mich", sagt Kosky, "ist es völlig natürlich, drei, vier Sprachen gleichzeitig zu hören." Wenn das inflationäre Gerede vom Multikulturalismus jemals Sinn gehabt hat, dann in diesem Kellerlokal.

Was wird hier eigentlich gespielt? Eine kroatische Schauspielerin (Melita Jurisic), die in Australien lebt, spricht auf einer Wiener Bühne in gutturalem Deutsch die Rolle eines schottischen Thans. Eine solche Verwirrung bereitet den beiden bebrillten Herren einen Heidenspaß.
Nein, sie hätten nicht zu wenige Produktionen gemacht in ihrer ersten Spielzeit; sie seien an der Anbahnung längerfristiger Arbeitsbeziehungen interessiert, und das dauere halt seine Zeit. Ihr vorerst auf drei Jahre befristeter Vertrag erhalte die Option auf eine (einmalige) Verlängerung, und eine solche würden sie, wohl unter Beibehaltung ihrer Jahressubvention von rund 1,6 Millionen Euro, anstreben.
Mit dramaturgischen Vorhaltungen möge man sie, bitte, verschonen: "Stücke, die ich machen will", erklärt Kosky, "habe ich bereits zwei Jahre im Voraus im Kopf." Der rote Faden, der sich durchziehe, sei sein eigener. Wenn er Medea als Flüchtling in einer engen Wohnung auf einem Koffer sitzend inszeniere, dann eben, "weil auch ich zu dem Zeitpunkt in einer Wiener Wohnung auf dem Suitcase saß."

In der Theaterwelt von Berg und Kosky ist alles mit allem kompatibel: Vielleicht ist ein solches Haus den Wienern und ihrer absonderlichen Theaterlust tatsächlich abgegangen. "Wir sind kein gewöhnliches Stadttheater", sagt Kosky. Und: "Wer sagt, dass künstlerische Arbeit keinen Spaß bereiten darf?" Jetzt würde man gerne das Lammfell an der Wand kraulen. Aber es ist nur aus Glas. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.11.2002)