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Foto: Reuters/Leonhard Foeger

Hätte er sich nicht verbrennen lassen, im Grabe würde sich der große Europäer Adolf Hitler umdrehen, müsste er lesen, wie die zurzeit ziemlich desorientierten Sympathisanten seiner Idee, den Kontinent am nationalsozialistischen Wesen genesen zu lassen und einen ersten Schritt dahin mit dem "Unternehmen Otto" zu tun, nun verräterisch einen Dolchstoß versetzen.

Aber es ist ja nicht das erste Mal. Der Sündenfall begann, als sich "Zur Zeit" einen Hausrabbiner als Wunderwaffe gegen Peter Sichrovsky zulegte, weil der auf einmal Antisemitismus in der Freiheitlichen Partei entdeckte. Weiß Wotan, was er da wieder in der Pfeife geraucht hat.

Damit nicht genug, wurde nun auch noch besagter Otto - in der Charaktermaske "Majestät" - um seine Meinung zur Weltlage gefragt, wozu der Interviewer in die Rolle der Alice Schalek zu schlüpfen sich mühte, um ein Flair zu erzeugen, als erlebten wir die letzten Tage der Menschheit, wo es doch nur um die letzten Tage einer blauen Regierungsbeteiligung geht. Kaiserliche Hoheit, wie schätzen Sie die Rolle Rußlands ein?

Statt g'scheit zu sein wie das Ahnl und einfach zu sagen, "es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut", fühlte sich K. H. in Geburtstagslaune bemüßigt, den Deckel der Pandorabüchse seiner weltpolitischen Weisheiten zu lüften, auf dass sich der noch nicht zu Grasser übergelaufene Rest der Leserschaft von "Zur Zeit" an den daraus aufsteigenden Düften erquicke. Das Wölkchen, das davon einer breiteren Öffentlichkeit in die Nase gedrungen ist, kam allerdings auf die Frage: Wieso gibt es bei den Amerikanern jetzt diese ungewohnten militanten Töne?

Wie beantwortet das ein König von Jerusalem so, dass es auch ein Schreiber von "Zur Zeit" versteht? Ganz einfach. Wenn man die US-Innenpolitik betrachtet, dann ist sie in zwei Hälften gespalten: Auf der einen Seite das Verteidigungsministerium, in dem die Schlüsselpositionen mit Juden besetzt sind, das Pentagon ist heute eine jüdische Institution.

Aber die andere Hälfte ist auch nicht besser. Auf der anderen Seite, im State Department, sind die Schwarzen - zum Beispiel Colin Powell oder besonders Condoleezza Rice. Das ist eine innenpolitische Auseinandersetzung zwischen Falken und Tauben.

Jüdische Falken gegen schwarze Tauben! Und dennoch kann sich der weiße Mann nicht freuen, ihm kann es in diesem Rassengemisch einfach nicht gut gehen. Im Moment spielen dabei die Angelsachsen, also die weißen Amerikaner, eine relativ geringe Rolle. George W. Bush steht praktisch auf verlorenem Posten.

Da geht es Putin schon besser. Denn auf die Frage "Kaiserliche Hoheit, wie schätzen Sie die Rolle Rußlands ein? fiel derselben ein: Ich halte Rußland für äußerst gefährlich. Man muß sich einmal anschauen, wer dort an der Macht ist. Nix Juden, nix Schwarze, nicht einmal Angelsachsen in Schlüsselpositionen, sondern: Wladimir Putin wurde mit 23 Jahren Mitglied des KGB. Das ist die Realität.

Aber jetzt keine Angst, Kaiserliche Hoheit können alles erklären. Natürlich kehrt der Kommunismus, wie er unter Stalin war, nicht wieder. Der war mit 23 Jahren ja noch Bankräuber und nicht Mitglied des KGB, also ganz so schlimm wird es nicht. Aber es kommt der Nationalsozialismus, natürlich auch nicht in der Form von Hitler, sondern mit Putin - mit dessen ganz klarer Politik der Expansion nach außen und der Schaffung eines scharfen autoritären Systems nach innen. Also doch in der Form von Hitler, nur ohne ein Unternehmen Otto?

Dann kam die Schalek mit einer seltsamen Frage. Darf ich fragen, fühlen Sie sich als Österreicher? Haben Sie einen österreichischen Paß? Wie kann man einen so großen Geist auf ein so kleines Land pfropfen wollen? Dementsprechend fiel auch die Antwort aus. Man kann nie genug Pässe haben. Das habe ich aus meinem früheren Leben als Emigrant, als ich ohne Paß dastand gelernt. Ich habe einen österreichischen, einen deutschen, einen ungarischen und einen kroatischen Paß. Kaiserliche Hoheit sind eben ein richtiger Passpartout, der lässt der Emigration keine Chance mehr.

Drum weiß er auch das Richtige auf die Frage: Wie sehen Sie das gegenwärtige Österreich? Jetzt gibt es ja diese Regierungskrise . . . Leider geht es hier noch schlimmer zu als in der gespaltenen US-Innenpolitik. Ja, leider, denn die bisherige Regierung war ja keineswegs schlecht. Sie ist durch den Haider erfolgreich explodiert. Wenn ich mir aber die Alternativen vorstelle, dann sind die ja schrecklich! Ich denke dabei speziell an Gusenbauer.

Dass Kaiserliche Hoheit das Verdienst um die erfolgreiche Explosion der keineswegs schlechten Regierung Jörg Haider zuzuschreiben geruhen, statt Wolfgang Schüssel wenigstens diesen Erfolg zu gönnen, wird der Bundeskanzler als intellektuellen Auswuchs des Gottesgnadentums gelassen weggesteckt haben. Ihm genügte die allerhöchste Erinnerung an die Alternativen, um ihn zur Laudatio auf den alten Herrn zu beflügeln. Dieser ist übrigens ganz gewiss kein Antisemit. Es ist nur so: Seinen 90. Geburtstag feierte er - wie "Zur Zeit" versichert - in voller Frische.
(DER STANDARD, Printausgabe, 22.11.2002)