Wien - Erstmals in der Koalitionsgeschichte Österreichs hat
ein Wahlsieger bei Nationalratswahlen drei Optionen zur Erreichung
einer Regierungsmehrheit. "Das gab's noch nie", sagte der Politologe
Fritz Plasser Sonntagabend. Die wahrscheinlichste Variante
ist nach Ansicht des Experten Schwarz-Rot. Doch auch Schwarz-Blau und
Schwarz-Grün würde sich ausgehen. Der klare Wahlsieger, VP-Obmann
Wolfgang Schüssel, hat dennoch ein Problem: Gegen jede der möglichen
Koalitionsformen gibt es gleich mehrere Argumente. Für eine Koalition von ÖVP und SPÖ - sofern die Sozialdemokraten
bereit dazu wären - sprechen laut Plasser die Stabilität und
Handlungsfähigkeit dieser Regierungsform. Die wiederholte
Oppositionsansage von SP-Chef Alfred Gusenbauer sieht Plasser noch
nicht als definitiv an. Der Politologe rechnet mit einem "starken
appellativen Einfluss des Bundespräsidenten und der 'Kronen Zeitung',
die unverkennbar ihre Präferenz für eine große Koalition an den Tag
gelegt hat".
"Oppositionspolitisches Vakuum"
Notwendig sei dafür aber ein neues Regierungsmodell, das nicht
binnen weniger Monate wieder in gegenseitiger Blockade ende. Die
Arbeiten an einem solchen Modell stünden erst am Beginn. Gegen eine
VP-SP-Regierung spricht aus politologischer Sicht außerdem auch ein
drohendes "oppositionspolitisches Vakuum". Mit vier Fünfteln der
Stimmen bildeten ÖVP und SPÖ eine "überdimensionale, prädominante"
Koalition, warnt Plasser.
Über eine "durchaus hinreichende parlamentarisches Mehrheit"
würden auch ÖVP und FPÖ verfügen. Eine der zentralen
Herausforderungen der nächsten Regierung werde jedoch "die
konstruktive Realisierung der EU-Osterweiterung" sein. "Im Sinne der
Akkordierung" dieses Vorhabens mit der FPÖ sei eine Schwarz-Blaue
Koalition kaum vorstellbar.
Die FPÖ habe nach der dramatischen Niederlage "das Trauma einer
Wahlkatastrophe zu verarbeiten". Ob sie dabei auch noch Verhandlungen
führen und sich in der zentralen Frage der EU-Erweiterung neu
positionieren könne, bleibe abzuwarten und werde wesentlich davon
abhängen, wie FP-Alt-Obmann Jörg Haider in den nächsten Tagen
argumentieren werde, so Plasser.
Als "Minimum Winning Coalition" bezeichnete der Politologe eine
mögliche Zusammenarbeit zwischen Schwarzen und Grünen. Angesicht der
diametralen Positionen der beiden Parteien in Sachfragen und des
distanzierten Gesprächsverhältnisses, habe diese Koalitionsform
allerdings "die geringste Eintrittswahrscheinlichkeit".
Eine Minderheitsregierung hält Plasser trotz der sich
abzeichnenden Schwierigkeiten bei dem kommenden
Koalitionsverhandlungen von der ÖVP für "nicht gewollt". Nur wenn die
ÖVP auf eine Front der Verweigerung stoße, wäre die Alleinregierung
die "Konsequenz". (APA)