Die Rotationsachsen von Himmelskörpern haben einen chaotischen Hang zum Herumtorkeln. Was sich auf die Sonneneinstrahlung auswirkt, die wiederum Einfluss auf das Klima hat. Alles in allem lassen sich die Bewegungen der Planeten und alle damit zusammenhängenden Entwicklungen kaum auf einen längeren Zeitraum vorhersagen. Lediglich ein paar Millionen Jahre können berechnet werden.
Astronomen waren immer schon die treusten Kunden der Mathematik. Die Bestimmung der Bahnen von Himmelskörpern geriet zur Erfolgsstory. Mond- und Sonnenfinsternisse wurden präzise vorhergesagt, und im neunzehnten Jahrhundert gelang es dem Franzosen Leverrier an Hand jahrelanger Rechnungen sogar, einen neuen Planeten zu entdecken: den Neptun.
Computer können derartige Berechnungen in wenigen Sekunden durchführen, und da sich die Rechenleistungen alle paar Jahre verzehnfachen, schienen der Himmelsmechanik keine Grenzen gesetzt. Dass dies ein Trugschluss war, haben der Amerikaner Jack Wisdom und Jacques Laskar vom Observatoire de Paris nachgewiesen. Der Franzose hat diese Entwicklung Mittwoch als Gast der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen der Gödel-Lectures in Wien beschrieben.
Die Achtzigerjahre waren die Blütezeit der Chaostheorie, die damals hochgejubelt und später bis zur Sinnlosigkeit trivialisiert wurde. Schlagwort der Chaostheorie ist der "Schmetterlingseffekt": Der Flügelschlag eines Schmetterlings am Amazonas könne einen Tornado in Texas auslösen. Damit ist gemeint, dass die Ergebnisse gewisser Vorausberechnungen empfindlich von der Ausgangslage abhängen, die man nie mit vollkommener Genauigkeit kennt.
Eine winzige Abweichung - etwa durch den Flügelschlag eines Schmetterlings verursacht - kann sich da innerhalb von tausend Rechenschritten verdoppeln; nach zehntausend Rechenschritten ist sie dann vertausendfacht, und nach Millionen von Rechenschritten so groß, dass die Vorhersage zur Lotterie wird.
Modelle für die Wetterentwicklung haben diese chaotische Eigenschaft. Aber die Astronomie kennt keine kapriziösen Schmetterlinge, nur starre Himmelskörper, die einander nach dem Gesetz der Schwerkraft anziehen.
Mit Computerhilfe konnte Laskar nachweisen, dass es auch in der Himmelsmechanik einen Schmetterlingseffekt gibt. Wenn die Position der Erde nur mit einer Genauigkeit von fünfzehn Metern bekannt ist, wird eine Vorhersage über zweihundert Jahrmillionen unmöglich. Das scheint eine Ewigkeit, aber das Sonnensystem ist etliche Jahrmilliarden alt. Astronomischen Vorhersagen sind Grenzen gesetzt.
Während die Umlaufbahnen noch einigermaßen stabil sind, gilt das nicht für die Rotationsachsen der Himmelskörper, von denen manche eine ausgeprägte Tendenz zum chaotischen Herumtorkeln aufweisen. Eine Änderung in der Richtung der Drehachse beeinflusst aber die Sonneneinstrahlung und damit die Oberflächentemperatur. Laskar konnte nachweisen, dass der Mond einen stabilisierenden Einfluss auf die Erdachse ausübt: Ohne ihn würde es immer wieder zu einem Umkippen der Erde kommen, mit so dramatischen Auswirkungen auf das Klima, dass Leben unmöglich wäre.
Eine andere Arbeit Laskars liefert eine Erklärung für die Tatsache, dass die Drehrichtung der Venus - als einzigem Planeten - jener der Erde entgegengesetzt ist, also vom Osten zum Westen verläuft. Und nun errechnete Laskar anhand von Fotos, dass die Polarkappe am Mars in zwanzig Jahren einen Zentimeter dicker wird.
So wie Bohrungen in der irdischen Eisschicht Informationen über das Klima vergangener Jahrmillionen liefern, soll der nächste Roboter, der am Mars landet, dort Eis anbohren. So könnte das Marsklima über Jahrtausende zurück verfolgt und mit der Richtung der Rotationsachse vergleichen werden. Die Arbeiten liefern somit Annäherungen zwischen Himmelsmechanik und Wetterkunde. Beide Wissenschaften werden vom Schmetterlingseffekt geplagt, was ihre Berechenbarkeit grundsätzlich beschränkt. Dennoch lässt sich eruieren, wie Monde aufs Wetter wirken, was eine Paläoklimatologie für fremde Planeten ermöglicht. (Karl Sigmund/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 11./1.12 2002)