Eine Salve sarkastischen Gelächters" dröhnt dem slowenischen Jacques-Lacan-Schüler Slavoj Zizek im Ohr: Wer es sich herausnimmt, den Revolutionär Lenin einer Revision zu unterziehen, weckt einen sprichwörtlich toten Hund.Über Marx, den "Poeten des Warenfetischismus", könne man sich zur Not noch einigen - dessen Schilderungen über Verdinglichung und Entfremdung gehören in das Poesie-Album der "new economy", und jeder Börsen-Broker hat schon etwas über Verelendung gehört. Vielleicht spendet ein solcher aufgeklärter "Ausbeuter" sogar Geld für die Armen, engagiert sich "multikulturalistisch"; oder er sorgt als Eigentümer für das "Outsourcing" seiner Produktionsstätten in die Dritte Welt. Der Begriff des Leninismus hingegen ist mit dem Totalitarismus unauflöslich verbunden: Im gleißenden Licht der Gulags, im Brennen der Verhörlampen scheint er auf unabsehbare Zeiten diskreditiert. Zizek lässt nun keinen Zweifel daran, dass ihm die unbedingte Entschiedenheit, mit der Lenin anno 1917 die (im Grunde nicht existierende) Chance zur Revolution in Russland ergriff, kolossal imponiert. Ziek ist nämlich ein Schausteller der Theorie: Am bolschewistischen Putsch und an der Erstürmung des Sankt Petersburger Winterpalais interessiert ihn jener Mutwille, der, in den Termini der angewandten Psychoanalyse, gewisse Dinge notwendigerweise "tut", um erst über diesen Umweg erfahren zu können, dass sie "überflüssig" sind. Einer solchen Haltung kommt man mit keinen liberal-ethischen Erwägungen bei. Die Psychoanalyse Lacanscher Prägung inszeniert ein prekäres Theater - indem sie die Symbole, die sie auf der politischen Bühne wie Spielmarken hin und herschiebt, bereits im Moment ihrer Vorführung als Blendwerke erweist (sie "subvertiert"). Der virtuose Ideologiekritiker Zizek zeigt nun die Splitter in den Augen der anderen: die mutwillige Verblendung, in der sich unsere Gesellschaft, gerade weil sie für Toleranz und für sozialen Ausgleich plädiert, unrettbar befangen zeigt. Verwiese man ihn auf den Balken im eigenen, so würde er, Zizek, sich auch noch bereitwillig dazu bekennen: In der Herstellung jenes nie ganz tarierten Gleichgewichts, das unsere seelische Gesundheit sicherstellt, gehören Verkennungen und Verzerrungen sozusagen zum Geschäft. Nichts fürchtet der Mensch mehr als den Einbruch des unverstellt "Realen" - dessen "unmögliche" Anwesenheit sich gleichwohl den Gegenständen mitteilt: sie zeichnet, kerbt oder krümmt. Die Pointe liegt nun darin, dass dieses "Ding an sich" die "Leere selbst" ist - und die revolutionäre Metaphysik des Materialismus nun gerade darin bestanden habe - oder künftig darin bestehen müsste - mit (zum Teil terroristischen Mitteln) alles das wegzuräumen, was sie verstellt. Zizeks großteils zutreffende Beobachtungen zum postindustriellen "way of life" zehren nun auskömmlich von diesem psychoanalytisch gewendeten Pathos der Utopie. Alle reformerische Mühsal, den Kapitalismus menschlich umzubauen: ihn seiner Härten zu berauben, ihn sozusagen in die Pflicht des Humanismus zu nehmen, prallt am Kern dieser Argumentation wirkungslos ab. Zizek, dessen beängstigend geschäftige Reflexivität den 11.9. einschließt, Filme wie den Fight Club oder das Verhältnis von Snuff-Pornos zum Stalinismus, verwirft den demokratischen Wettbewerb der Ideen. Er deklariert statt dessen den Marx'schen "Antagonismus" - und zieht die Trennlinie einer "absoluten" Differenz, für deren unaufhörliche Realisierung er plädiert. Übrig bleibt jener "unauflösliche Rest", den keine Politik aus der Flut der Phänomene herauszulösen vermag. Und so sind auch die gewitztesten Psychoanalytiker vor allem eines: verkappte Erlösungsprediger für leninistische Saulusse. Trotz allem: Leseempfehlung! (Ronald Pohl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 11./1.12 2002)