Der Vorwurf sitzt: Manuel Fraga, der dank politischen Instinkts und einer gehörigen Portion Populismus nicht nur den Wechsel von der Franco-Diktatur ins demokratische Lager geschafft hat, sondern auch die Volkspartei (PP) gründete, im rechten Augenblick den unscheinbaren José María Aznar an deren Spitze hievte und seither in seiner galicischen Heimat unangefochten regiert, habe sein Land und die Landsleute "in höchster Not im Stich gelassen", um privaten Vergnügungen nachzugehen. An dem Wochenende, als die manövrierunfähige "Prestige" in erratischem Zickzackkurs aufs offene Meer geschleppt wurde und bereits Tonnen von Dieselöl die Costa da Morte schwärzten, da war Galiciens Landeschef Manuel Fraga Iribarne nicht mit Schaufel und Gummistiefeln zur Stelle, sondern ging in den Bergen um Aranjuez auf Pirsch. Fragas Erklärung, er habe eine Krisensitzung mit der Staatssekretärin für Fischerei - zufällig seine älteste Tochter - im fernen Madrid abgehalten, klang nach fauler Ausrede. Dass auch der zuständige Infrastrukturminister am fraglichen Wochenende dem Waidwerk nachging und die Regierungsmannschaft mit Premier Aznar an der Spitze die Krise ebenfalls verschlief, war wenig Trost. Ein Großteil der am Sonntag in Santiago de Compostela vor Fragas Regierungssitz versammelten Demonstranten, die die Ölkatastrophe vor der Todesküste zum Anlass nahmen, um unter dem Slogan "Nunca mais" ("Nie wieder") gegen die unsicheren Tanker in Europas Gewässern zu protestieren, wollte die Schadenfreude gar nicht verbergen: Gerne wischt man dem Langzeitpräsidenten eins aus. "Don Manuel", wie er in seiner Heimat genannt wird, hat in 50 Jahren beispielloser Politkarriere jedoch viel gefährlichere Krisen umschifft. Sieben Jahre lang diente er als Informationsminister einem anderen berüchtigten Galicier, General Franco aus Ferrol (einem anderen Galicisch- stämmigen, Fidel Castro, ist er übrigens trotz ideologischer Unterschiede herzlich verbunden). Nach Francos Tod wurde er Innenminister einer Übergangsregierung, später einte er Altfranquisten und neue Konservative zur "Alianza Popular", die bei den ersten demokratischen Wahlen aber nur mäßigen Zulauf hatte. Erst als der alternde Jäger und Fischer den Rückzug in die Heimat antrat, stellte sich der Erfolg für die Partido Popular ein. Zu Hause blieb Fraga ohne Herausforderer. Dem 80-Jährigen gelang erst im Vorjahr der vierte Wahlsieg in Folge. Und so herrscht er dank eines fein gesponnenen Netzes aus Bevormundung und Abhängigkeit über 2,4 Millionen Galicier wie ein absolutistischer Monarch: Welcher König gibt seinen Untertanen Rechenschaft, ob und wann er jagen geht?(DER STANDARD, Printausgabe, 2.12.2002)