München/Berlin - "Eine kuriose Gegenbewegung folgt dem Triumph über das Desaster der FPÖ bei der Nationalratswahl in Österreich: Heimlich hegen die anderen Parteien inständige Genesungswünsche für die marode Nationalbewegung. Bundeskanzler Schüssel tut dies, weil er sonst das ihm liebwerte Projekt der schwarz-blauen Rechtsregierung in der eigenen Partei nicht durchsetzen und auch der Öffentlichkeit nicht plausibel machen kann, wie mit einer auf Destruktion geeichten, kopflosen Führerpartei Staat zu machen wäre. In einer Koalition mit der SPÖ müsste die ÖVP außerdem viel größere Zugeständnisse machen", schreibt am Montag die "Süddeutsche Zeitung". "Die SPÖ-Führung um Alfred Gusenbauer betet noch inständiger für den Erzfeind. Denn erholt sich die FPÖ nicht, müssen die Sozialdemokraten in die Regierung, wie sie sich glauben machen lassen. Das bedeutete den totalen, endgültigen Gesichtsverlust vor jenen, die den Antifa-Parolen der vergangenen Jahre vertraut haben, als hätte man sich von der Politik früherer SPÖ-Innenminister abgewandt, die ihnen Haider selbst diktiert zu haben schien. So resozialisiert man sich nicht als ernst zu nehmende Menschenrechtspartei. Und die Rückkehr des alten Proporzes? Von außen ist ohnehin schwer nachvollziehbar, wie Medien und Öffentlichkeit, die früher die Große Koalition zu Recht als Bündnis von Pest und Cholera vermaledeit haben, deren Wiederbelebung heute als nationale Pflicht propagieren. Mit einer Riege monolithischer Betonfiguren im Hintergrund wäre die SPÖ auch taktisch dem politischen Jongleur Schüssel hoffnungslos unterlegen. Als Juniorpartner in der Koalition müsste sie heute Beschlüsse der alten Rechtsregierung mittragen. Noch immer müde von früherem Verschleiß, könnten die Sozialdemokraten so Schüssel zu einer Regentschaft Kohlschen Ausmaßes verhelfen." Katzenjammer bei den Grünen "Die Grünen wiederum, die so viele Stimmen bekommen haben wie nie zuvor und dennoch am Katzenjammer des Misserfolges kranken, weil es für Rot-Grün nicht reicht, müssen besonders inständig um eine gerade noch zurechnungsfähige FPÖ beten. Denn nur dann entkommen sie dem taktisch wohl intonierten Sirenengesang aus der ÖVP, doch mit ihr zu gehen." "Das Argument gegen Schüssel, über die FPÖ den Rechtsextremismus in Europa reputierlich gemacht zu haben, wiegt bei den in Menschenrechtsfragen unbestechlichen Grün-Wählern noch viel schwerer. Ihr Wählerauftrag heißt: eine sozial-ökologische Koalition mit der SPÖ oder Opposition. Jede andere Option würde die Wählerschaft als glatten Verrat ansehen. Und als pure Dummheit, denn für die ÖVP sind solche Avancen reine Folklore. Gingen die Grünen überhaupt ernsthaft auf Verhandlungen ein, erwiesen sie sich als naiv bis zur Lächerlichkeit. Dann hätte die ÖVP im Vorbeigehen auch noch die bei eigenen bürgerlichen Wählerschichten gar nicht so übel beleumundeten Alternativen kalt erledigt. Bei der nächsten Wahl dürften die Grünen dann wieder bangen, ob sie überhaupt ins Parlament kommen." "Tagesspiegel":

"Wenn man eintönige Politik des Establishments bekommt, wählt man gleich die dafür zuständige Partei" "Nach der vernichtenden Wahlniederlage der Freiheitlichen Partei Österreichs machte sich in und außerhalb von Österreich große Schadenfreude breit. Doch es geht um mehr als den Fall von Jörg Haider. Die scharfe Abstrafung durch die Wähler bereitet einiges Kopfzerbrechen. Hat Haiders Partei verloren, weil sie zu rechtslastig oder zu moderat bei den zentralen Themen geworden ist?", fragt am Montag die deutsche Tageszeitung "Der Tagesspiegel".

"In der Koalition mit der ÖVP hatte die FPÖ moderate Politiker in die erste Reihe geschoben. Damit wollte sie Haiders Kritiker besänftigen. (...) Nachdem das Hochwasser große Schäden angerichtet hatte, schlug die FPÖ eine Steuereranhebung vor. Damit war die Wandlung der Partei vom Rebellen zum Establishment perfekt. Die FPÖ war also nicht zu extrem geworden, sondern betrieb die gleiche eintönige Politik wie die anderen Parteien..."

"Das erklärt, warum fast alle Wähler, die der FPÖ den Rücken gekehrt haben, zur ÖVP zurückgekehrt sind. Wenn die Österreicher ohnehin eine Politik des Establishments bekommen, dann können sie gleich die dafür zuständige Partei wählen. Die politische Furchtsamkeit ist bei beiden Parteien gleich groß. Und die ÖVP gilt anders als die FPÖ nicht als fremdenfeindlich und rückständig." (APA)