Der "Paddy's Market" im Zentrum von Sydney: An drei Tagen der Woche drängen sich jeweils Tausende von Besuchern zwischen den Ständen, auf denen von Plüschkängurus über Ziervögel bis zu Tintenfischen alles angeboten wird. Doch am Samstag fehlte das vertraute Sardinendosen-Gefühl. Man hat Platz, fast zu viel Platz. "Mist!", flucht Giovanni, ein Obsthändler. Noch nie habe er so wenige Kunden gehabt wie in diesen Wochen.

Australien ist im Ausnahmezustand. Seit dem Bomben- anschlag in Bali am 12. Oktober hat eine tiefe Angst vor einer Terrorattacke das Land im Klammergriff. Vor zwei Wochen warnte die Regierung vor der Gefahr neuer Anschläge. Seither bleiben viele zuhause. Märkte sind verlassen, Kinos halbvoll, in den Kaufhäusern polieren sich die Kassierinnen gelangweilt die Fingernägel. Dazu kommt ein deutlicher Rückgang der Zahl der Touristen.

Die Angst vor dem Terror erreichte am Sonntag einen Höhepunkt, als Premier John Howard öffentlich einen militärischen "Präventivschlag" gegen Terroristen in benachbarten Staaten erwog, falls es keine Alternative gebe, um eine Terrorattacke in Australien zu verhindern. Dies brachte ihm heftige Kritik vonseiten Indonesiens, Malaysias, Thailands und der Philippinen ein. Howards Bemerkung war die Schließung der australischen Botschaft in Manila vorausgegangen. Es habe "konkrete Hinweise" auf einen bevorstehenden Anschlag gegeben. Die philippinische Regierung bestreitet dies.


Bunkermentalität

Seit am 12. Oktober in Bali fast 200 Menschen einem Bombenanschlag islamischer Extremisten zum Opfer fielen, unter ihnen etwa 100 Australier, reichen sich die konservative Nationalregierung und die sozialdemokratisch geführten Bundesstaaten in unüblicher Solidarität die Hand.

Vor allem Neusüdwales mit Sydney als Hauptstadt entwickelt eine veritable Bunkermentalität. Der sozialdemokratische Premier Bob Carr hat den Einsatz der Armee zum Schutz prominenter architektonischer Merkmale gefordert. Auf der Hafenbrücke in Sydney patrouillieren rund um die Uhr Sicherheitsleute, im weltbekannten Opernhaus wurden die Kontrollmaßnahmen drastisch verschärft. Carr unterstützt auch John Howards umstrittenen Vorschlag für eine Gesetzesänderung, die eine deutliche Erweiterung der Rechte des Geheimdienstes Asio zum Ziel hat.

Die Gefahr terroristischer Angriffe in Australien ist keine Illusion der Politiker: Das unabhängige Institut für strategische Studien in Canberra bestätigt, dem Land drohten "wiederholte Attacken". Die Organisation fordert die Regierung auf, Defizite in der Verteidigung zu beheben.

Howards zur Schau getragene Entschlossenheit lässt ihn seit Bali auf der Beliebtheitsskala weiter nach oben klettern. Für Kritiker wie den linksliberalen Kolumnisten Mike Carlton birgt die Entwicklung große Gefahren für die Demokratie. In einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und bitterer Ironie schlägt er die Internierung australischer Muslime in Lager vor - "zu ihrer eigenen Sicherheit".

Viele der rund 300.000 islamischen Australier waren in den letzten Monaten Ziel fremdenfeindlicher Angriffe. "Gefährliche Zeiten verlangen entschlossene Maßnahmen", so Carlton mit Blick auf die Rhetorik Canberras. (DER STANDARD, Printausgabe, 3.12.2002)