Ist da jemand? Gibt es Leben in der SPÖ? Im Wahlkampf hat sie noch recht lebendig gewirkt, doch seit sie vorletzten Sonntag mehr als drei Prozent dazugewonnen hat, gemahnt sie an eine jener Lebensformen, die nur noch auf äußere Reize zu reagieren imstande sind, von denen aber keinerlei Reiz ausgeht. Gewiss, das Wahlergebnis war enttäuschend, aber nicht so blamabel, dass man nun einen Kleinmut zur Parteidoktrin erheben müsste, der die eigenen Wähler nicht motiviert, den anderen keine Achtung abnötigt und nirgendwo als Bescheidenheit durchgeht.

Die bis zum Tag nach der Wahl eingefrorenen Posthorntöne innerparteilicher Matschkerei konnten ja nicht ausbleiben, das hat wenig mit nüchterner Analyse zu tun, sondern gehört zum überflüssigen Ritual, müsste doch jedem Kritiker, der halbwegs ernst zu nehmen ist, klar sein, dass der geschlossene Übertritt von mehr als 600.000 ehemaligen FPÖ-Wählern zur ÖVP nicht mit dem einen oder anderen fehlenden Angebot an dieses oder jenes Grüppchen erklärt werden kann.

Die meisten dieser Wechselwähler sind Sympathisanten eines in Österreich nun einmal starken rechten Lagers, sie hatten die blauen Chaoten satt und gingen daher umso lieber auf das Versprechen Schüssels ein, die konservative Wendepolitik fortzuführen - ein Versprechen, das Gusenbauer niemals hätte abgeben wollen - und können, ohne damit selber viele Wähler zu vertreiben. Auch der in diesem Zusammenhang oft erwähnte Bruno Kreisky konnte bekanntlich - unter anderen Umständen - nur einen sehr kleinen Teil dieser Masse vorübergehend für sich gewinnen.

Dennoch hat das rechte Lager sieben Mandate verloren, die Zustimmung zur Wendepolitik ist also schwächer geworden, auch wenn das durch Wolfgang Schüssels Erfolg ein wenig außer Sicht geraten ist. Warum sich daher die SPÖ in diesen Tagen das Gesetz des Handelns von anderen aufnötigen lässt, statt selber Aktivitäten zu setzen, die über das Wundenlecken hinausgehen, ist nicht ganz verständlich. Vor allem verbreitet sie damit beim Publikum schon am Beginn der neuen Legislaturperiode eine Wolke von Apathie, was ihr mehr schaden kann als mancher Ausrutscher, der noch kommen mag.

Was soll das lammfromme Antrotten zur Erfüllung von Aufträgen des Bundespräsidenten, die nicht einmal an die SPÖ ergangen sind? Dass Wolfgang Schüssel mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, ist in Ordnung, aber muss das bedeuten, dass die SPÖ nun immer warten muss, bis sie zu einem Gespräch geladen wird, oder darf sie neben diesen Gesprächen auch eigene Fantasien entwickeln, wie eine künftige Regierung aussehen könnte? Der Bundeskanzler selber hat ja schon einmal ein anschauliches Beispiel dafür geliefert, dass so etwas möglich ist.

Fantasie ist natürlich Voraussetzung, aber in jedem Fall. In der Rolle des Kaninchens, das so lange auf die Schlange starrt, bis es großkoalitionär inhaliert wird oder bis diese sich desinteressiert ab- und neuer Beute zuwendet, wird die SPÖ keine Lorbeeren ernten. Umso weniger, als ein Wahlsieger es immer leichter hat, die Verantwortung für das Scheitern von Koalitionsgesprächen den anderen zuzuschieben.

Und politische Fantasie muss auch nicht ihre Flügel einziehen angesichts der spekulativen Erpressung, bei baldigen Neuwahlen in der Folge gescheiterter Koalitionsverhandlungen könnte Schüssel eine absolute Mehrheit einfahren. Da sich die ÖVP schon jetzt alle wichtigen Posten der Republik unter den Nagel gerissen hat, wäre das auch egal, nur hätte sie dann die ganze Verantwortung. Und übrigens: Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. Daher: Wie wär 's mit einem Lebenszeichen? (DER STANDARD, Printausgabe, 4.12.2002)